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Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Titel: Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ondaatje
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wie mir heute klar ist, denn in diesem Film wird die Brutalität Arabiens mit einem zivilisierten, wenn auch ein wenig törichten England kontrastiert. Wir sahen, wie ein Engländer im Gesicht gebrandmarkt wurde (wir hörten, wie sein Fleisch zischte), damit er sich in einer erfundenen Wüstennation als Araber ausgeben konnte. Ein alter General bezeichnete die Araber im Film als »dem Stamm der Gazarra vergleichbar – unberechenbar und gewalttätig« . Im weiteren Verlauf der Geschichte wurde ein anderer Engländer geblendet, weil er in die Wüstensonne starrte, und er tappte den Rest des Films hindurch unbeholfen einher. Weniger spektakuläre Themen wie Chauvinismus und Feigheit in Kriegszeiten wurden von den Windböen in den wogenden Ozean geweht. Der Ton war schlecht, und abgesehen davon waren wir die unmelodische englische Aussprache nicht gewohnt. Wir beschränkten uns darauf, die Handlung zu verfolgen. Zudem bahnte sich ein eventueller Subplot an: Unser Schiff näherte sich einem Sturmgebiet, und wenn wir den Blick von dem dramatischen Geschehen auf der Leinwand abwendeten, sahen wir, wie sich in der Ferne Blitze gabelten.
    Während wir unter den allmählich verschwindenden Sternen dahinfuhren, wurde der Film in zwei Vorführungen gezeigt. Eine halbe Stunde vorher war er in der Pipe and Drums Bar der ersten Klasse vor einem ruhigeren Publikum von etwa vierzig gutgekleideten Passagieren aufgeführt worden; nachdem die erste Filmrolle zu Ende war, wurde sie zurückgespult und in einer Blechdose zu unserem Projektor auf dem Deck für die Freiluftdarbietung heruntergebracht, während die Zuschauer in der ersten Klasse die zweite Rolle ansahen. Die Folge waren verwirrende Tonausfälle, bei denen die zwei Vorführungen sich überlagerten. Alle Lautsprecher waren bis zum Anschlag aufgedreht, um das Dröhnen des Winds zu übertönen, und beständig hämmerten kontrapunktische Geräusche auf uns ein; während wir eine spannende Szene sahen, hörten wir plötzlich lärmenden Gesang aus einer der Offiziersmessen. Doch insgesamt hatte unsere Freiluftvorführung die Atmosphäre eines nächtlichen Picknicks. Jeder von uns bekam ein Schälchen Eiscreme, und während wir darauf warteten, dass die nächste Rolle in der ersten Klasse zu Ende war und in unseren Projektor eingefädelt wurde, unterhielt uns die Jankla-Truppe. Sie jonglierten genau in dem Moment mit großen Metzgermessern, als wir aus den Lautsprechern in der ersten Klasse das blutrünstige Geschrei angreifender Araber hörten. Die Jankla-Truppe parodierte diese Schreie mit grotesken Körperbewegungen, und dann trat der Seher von Hyderabad vor und sagte, die Brosche, die jemand am Vortag verloren hatte, hänge nun vor der Linse des Projektors. Und während die erste Klasse das brutale Abschlachten englischer Truppen mit ansah, applaudierte unser Publikum begeistert.
    Unser Film lief auf einer flatternden Leinwand, die wirkte, als wäre sie lebendig. Die Handlung war erhaben und wirr, voll grausamer Taten, die wir verstanden, und verantwortungsvollem Ehrgefühl, das wir nicht verstanden. Cassius erklärte tagelang, er sei Mitglied des »Stammes der Oronsay, unberechenbar und gewalttätig«.
    Leider brach der angekündigte Sturm über das Schiff herein, und als der Regen auf den Projektor prasselte, begann das heiße Metall zu zischen. Ein Steward versuchte einen Schirm darüber zu halten. Ein Windstoß riss die Leinwand aus ihrer Befestigung und fegte sie wie ein flatterndes Gespenst über das Meer, und die Bilder wurden ziellos auf das Wasser hinausprojiziert. Das Ende der Geschichte erfuhren wir nicht, nicht auf dieser Reise. Ich erfuhr es einige Jahre später, als ich in der Bibliothek von Dulwich College A. E. W. Masons Roman las. Es stellte sich heraus, dass er Schüler des Colleges gewesen war. Jedenfalls markierte dieser Abend den Beginn einer Reihe heftiger Stürme, die über die Oronsay herfielen. Erst als sie abflauten, entkamen wir dem Aufruhr des Ozeans und gelangten in das wahre Arabien.

 
     
     
    ZU MANCHEN ZEITEN SUCHEN STÜRME die Landschaft des Kanadischen Schilds heim, wo ich den Sommer über lebe, und ich wache auf und komme mir vor, als schwebte ich in der Luft, in Höhe der großen Kiefern oberhalb des Flusses, sähe die herannahenden Blitze und hörte dahinter den ihnen folgenden Donner. Nur von solcher Höhe aus kann man die eindrucksvolle Choreographie und Gefährlichkeit von Stürmen sehen. Im Haus schlafen ein paar Menschen, und neben

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