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Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Titel: Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ondaatje
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Betten festgebunden. Er hat gesagt, in einem von diesen Rettungsbooten hätten ein Mann und eine Frau herumgespielt, als der Sturm kam, und sie hätten sich verletzt, als das Boot aufs Deck gekracht ist. Sie sind nicht schwer verletzt, aber sein Dingsbums hat etwas abgekriegt. Er musste sich auch behandeln lassen.«
    »Ich kenne deinen Onkel ziemlich gut …« Sie wartete, um ihren Worten das gebührende Gewicht zu verleihen. Diese Einleitung aus ihrem Mund kannte und fürchtete ich, und mir dämmerte allmählich, dass sie mehr über die Geschehnisse der vergangenen Nacht wusste, als ich gedacht hatte.
    »Und deine Mutter habe ich auch flüchtig gekannt. Dein Onkel ist Richter! Wie kannst du dich unterstehen, mir so frech ins Gesicht zu lügen – wo ich mir solche Sorgen um deine Sicherheit mache!«
    Es sprudelte aus mir heraus: »Sie haben mir verboten, etwas zu sagen, etwas über Mr. Peters zu sagen. Sie haben gesagt, Mr. Peters wäre ein ›übles Subjekt‹, Tante. Sie haben gesagt, sie würden ihn bei der nächsten Gelegenheit von Bord bringen. Als wir ihn gefragt haben, ob er uns zur Sicherheit an unseren Betten anbinden kann, hat er uns statt dessen nach oben gebracht und hat uns dort mit den Seilen an Deck festgebunden, weil er uns dafür bestrafen wollte, dass wir … ihn beim Kartenspielen mit irgendwelchen Betrunkenen gestört haben. Er hat gesagt: ›Das passiert ungehorsamen Jungen, die andere Leute dauernd unterbrechen!‹«
    Sie sah mich durchdringend an. Für einen Augenblick dachte ich, ich hätte sie überzeugt.
    »Noch nie, noch nie, noch nie habe ich so eine Unverschämtheit …« Und sie ging von dannen.
    Am nächsten Tag war nicht viel los. Ein Dampfer, der nach Osten fuhr, begegnete uns abends in der Dämmerung, strahlendhell beleuchtet, und wir drei träumten einen Moment davon, hinüberzurudern und auf dem Dampfer nach Colombo zurückzufahren. Der Maschinist ließ die Motoren langsamer laufen, während die Stromnotaggregate getestet wurden, und eine Zeitlang war es, als verharrten wir reglos in dem Meer, das nunmehr das Arabische Meer war. Es war so ruhig, dass uns war, als schlafwandelten wir. Cassius und ich gingen auf das stille Deck. Erst in dem Frieden, der dort herrschte, wurde mir das ganze Ausmaß des Sturms bewusst. Dass wir ohne Dach und ohne Boden gewesen waren. Wir hatten nur miterlebt, was sich oberhalb des Meeres abgespielt hatte. Nun kam etwas zum Vorschein und nistete sich in meinem Geist ein. Nicht nur das, was wir sehen konnten, war unzuverlässig. Es gab auch die Unterwelt.

 
     
     
    ZWISCHEN SEINEN HABSELIGKEITEN hatte der ayurvedische Heiler aus Moratuwa auch einen Vorrat an Stechapfelblättern und -samen aus Pakistan an Bord geschmuggelt. Er hatte ihn für Sir Hector erstanden, um die Ausschläge zu behandeln, die seit neuestem an dessen Körper auftraten, und um den Ausbruch der Tollwut hinauszuzögern. Der Stechapfelextrakt war das wirksamste Mittel, das Sir Hector während seiner Seereise zu sich nahm. Er stand in dem Ruf, vielfältige, aber auch unberechenbare Auswirkungen zu haben. Wenn man zum Beispiel lachte, während man die weißen Blüten pflückte, führte das zu viel Gelächter, und falls beim Pflücken getanzt worden war, tanzte man auch nach der Einnahme der Droge. (Die Blüten entfalteten abends ihren stärksten Duft.) Stechapfel half bei Fieber und Tumoren. Doch wie seine eigenwillige Natur es wollte, antworteten Menschen unter seinem Einfluss auch völlig wahrheitsgetreu auf jede Frage, ohne im geringsten zu zögern. Und von Hector de Silva war bekannt, dass er vorsichtig und unehrlich war.
    Delia, die Ehefrau des Millionärs, hatte ihn immer für geradezu erschreckend verschwiegen gehalten. Und nun, nachdem die Oronsay schon seit Tagen auf hoher See war, gaben ihr die Drogen des Ayurveda-Mannes die Möglichkeit, zu entdecken, wen sie geheiratet hatte. Jeder Brosamen aus seiner Kindheit und Jugend kam ans Licht. Er offenbarte, wie schrecklich die Peitschenhiebe seines Vaters gewesen waren, wie er vereinsamt war und schließlich zu einem rücksichtslosen Finanzier geworden war. Er erzählte von heimlichen Besuchen bei seinem Bruder Chapman, der von zu Hause weggelaufen war und ein Mädchen aus der Nachbarschaft, in das er verliebt war und von dem es hieß, es habe einen Finger zuviel, geheiratet hatte. In Chilaw ließen sie den überzähligen Finger abschneiden, und sie führten ein ruhiges und vernünftiges Leben in Kalutara.
    Delia erfuhr auch, auf

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