Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch
nur als jemanden, der gelangweilt oder gespielt freundlich seine Verlautbarungen machte. Nun legte er einen Auftritt hin, als wäre er gerade aus einem Käfig freigelassen worden. Die Vorwürfe begannen mit mathematischer Präzision. Er wies darauf hin, dass acht Matrosen an unserer Rettung beteiligt gewesen waren, länger als eine halbe Stunde. Das ergab mindestens – mindestens – vier Stunden Zeitvergeudung, und bei einem Stundenlohn von x Pfund per Matrose hatte das die Orient Line viermal x gekostet sowie zusätzlich die Arbeitszeit des Chefstewards mit y Pfund Stundenlohn. Nicht zu vergessen den doppelten Stundenlohn, der in Notfällen immer gezahlt wurde. Und die Arbeitszeit des Kapitäns, die wesentlich teurer war. »Und daher werden wir euren Eltern neunhundert Pfund in Rechnung stellen!« sagte er und unterschrieb offiziell aussehende Papiere, die für meine Begriffe seine Mitteilung an die englische Einwanderungsbehörde hätte sein können, dass man uns nicht ins Land lassen sollte. Er schlug wieder auf den Tisch, drohte uns, er werde uns bei der nächsten Gelegenheit von Bord schaffen lassen, und begann unsere Vorfahren zu beschimpfen. Cassius versuchte ihn mit einer Bemerkung zu unterbrechen, die er für besonders unterwürfig und höflich hielt.
»Vielen Dank, daß Sie uns gerettet haben, Onkel.«
»Sei still, du … du« – er suchte nach einem Wort –, »du Viper .«
»Wiper, Sir?«
Der Kapitän verstummte und musterte Cassius, um herauszufinden, ob er sich über ihn lustig machte. Doch offenbar fühlte er sich in einer moralisch unangreifbaren Position.
»Nein. Du bist ein Iltis. Ein asiatischer Iltis, ein widerlicher kleiner asiatischer Iltis. Weißt du, was ich tue, wenn ich in meinem Haus einen Iltis finde? Ich zünde ihm die Hoden an.«
»Ich mag Iltisse, Sir.«
»Du widerwärtiges, nasses, rotznäsiges …«
In dem darauffolgenden Schweigen, als der Kapitän nach Schimpfwörtern suchte, sprang die Tür zum Badezimmer der Kapitänskajüte auf, und wir sahen die emaillierte Kloschüssel. Der Kapitän interessierte uns nicht mehr. Cassius stöhnte auf und sagte: »Onkel, mir wird übel … Kann ich schnell Ihre –«
»Raus! Du kleines Arschloch!«
Zwei Matrosen führten uns zu unseren Kabinen ab.
Flavia Prins hielt den Blick unverwandt auf ihr Armband gerichtet, während sie in dem leicht beschädigten Caledonia Room mit mir sprach. In einer schroffen Notiz hatte sie verlangt, mich unverzüglich zu sehen. Wir hatten inzwischen mehrere Verhöre hinter uns, und man hatte uns jedesmal eingeschärft, kein Wort über die Vorfälle zu sagen. Andernfalls würden wir noch mehr Ärger bekommen. Aber wir hatten beim Frühstück am Morgen danach zwei Tischgefährten davon erzählt. Der Speisesaal war fast leer, und nur Miss Lasqueti und Mr. Daniels aßen mit uns. Als wir sie einweihten, fanden sie das Ganze halb so schlimm. »Für euch, für die anderen ist es verdammt schlimm«, sagte Miss Lasqueti. Wie wir feststellen sollten, nahm sie Regeln ernst. Im übrigen war sie hauptsächlich von Ramadhins Knoten beeindruckt und sagte, damit habe er uns »die Rübe gerettet«. Doch als ich nun Flavia Prins gegenüberstand, merkte ich, dass meine inoffizielle Aufsichtsperson gar nicht gut auf mich zu sprechen war. Sie öffnete ihr Armband und schloss es klickend, ohne mich zu beachten, und dann legte sie los, wie ein Vogel, der plötzlich mit dem Schnabel den Kopf eines Hundes attackiert.
»Was ist gestern nacht passiert?«
»Es gab einen Sturm«, sagte ich.
»So, du meinst, es gab einen Sturm ?«
Ich fragte mich, ob sie vielleicht gar nicht mitbekommen hatte, was wir durchgemacht hatten.
»Es war ein fürchterlicher Sturm, Tante. Wir hatten alle schreckliche Angst. Wir haben in unseren Betten wie verrückt gezittert.«
Sie schwieg, deshalb redete ich drauflos.
»Ich musste einen Steward rufen. Ich bin dauernd aus dem Bett gefallen. Ich bin in den Flur gegangen, und da bin ich auf Mr. Peters gestoßen und habe ihn gefragt, ob er mich am Bett festbinden kann und Cassius auch. Cassius hätte sich fast den Arm gebrochen, als das Schiff schlingerte und irgendwas auf ihn draufgefallen ist. Er hat jetzt einen Verband.«
Sie sah mich an, nicht gerade beeindruckt.
»Als ich Cassius nachts in die Ambulanz gebracht habe, war der Kapitän auch da. Er hat Cassius auf die Schulter geklopft und ihn einen tapferen Burschen genannt. Dann ist Mr. Peters mit uns runtergegangen und hat uns an unseren
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