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Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Titel: Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ondaatje
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einer riesengroßen Welle überwältigt, wären Cassius und ich weiterhin an einen Pumpengenerator oder ein ähnliches Gerät angebunden. Niemand sonst war da. Wir waren allein auf der Oberfläche des Schiffs, wie zum Opfer an den Pfahl gebunden.
    Die Wellen schmetterten herein und überrollten uns und verschwanden so schnell wie ein Nachtmahr. Dann wurden wir hochgehoben. Dann fielen wir in das nächste Wellental. Was uns sicherte und festhielt, war allein Ramadhins spärliches Wissen über Knoten. Was wusste er von Knoten? In unserer Todesangst nahmen wir an, dass er keine Ahnung von Knoten hatte. Wir waren überhaupt nicht in Sicherheit. Wir hatten kein Zeitgefühl. Wie lange lagen wir dort, bis uns Suchscheinwerfer blendeten, die von der Brücke aus auf uns beide gerichtet wurden? Sogar in unserem verstörten Zustand ahnten wir die Empörung hinter diesen Lichtern. Dann erloschen sie.
    Später erfuhren wir die Namen, die es für Stürme gibt. Chubasco. Orkan. Zyklon. Taifun. Und wir erfuhren, wie es unter Deck gewesen war, wie die bunten Glasfenster im Caledonia Room zersplittert und die elektrischen Leitungen fast sofort durchgebrannt waren, so dass Taschenlampen sich die Gänge entlang bewegten und ihre Strahlen bei der Suche nach vermissten Passagieren in die Bars und Salons sandten. Rettungsboote waren teilweise aus ihren Halterungen gerissen und hingen schief herunter. Die Kompasse des Schiffs spielten verrückt. Mr. Hastie und Mr. Invernio versuchten in den unbeleuchteten Hundezwingern die Tiere zu beruhigen, die das Dröhnen des Donners verrückt zu machen drohte. Eine Welle traf den zweiten Purser und spülte ihm das Glasauge aus der Augenhöhle. Unterdessen waren unsere Köpfe zurückgebogen, weil wir sehen wollten, wie tief der Bug beim nächstenmal ins Meer tauchen würde. Niemand hörte uns schreien, wir hörten nicht einmal die eigenen Schreie, obwohl wir am nächsten Tag heiser waren, so laut hatten wir in diesen Meereskorridor geschrien.
    Es war, als wären Stunden vergangen, bis jemand mich anstieß. Der Sturm war noch nicht vorbei, aber soweit abgeflaut, dass drei Matrosen sich herauswagen konnten, um uns zu retten. Sie durchschnitten die Taue, deren Knoten unentwirrbar aufgequollen waren, und man trug uns eine Treppe hinunter in einen Speiseraum, der zur Ambulanz umgewandelt worden war. In den vergangenen Stunden hatte es ein paar Gehirnerschütterungen und gebrochene Finger gegeben. Wir wurden ausgezogen und in Wolldecken eingewickelt. Man sagte uns, wir könnten in der Ambulanz schlafen. Ich erinnere mich, wie warm der Körper des Matrosen war, der mich hochhob. Ich erinnere mich, dass jemand mir mein Hemd auszog und sagte, alle Knöpfe seien abgerissen.
    Ich sah Cassius’ Gesicht, als wäre jeglicher Ausdruck weggewischt. Und kurz bevor wir einschliefen, beugte Cassius sich zu mir herüber und flüsterte mir zu: »Vergiss nicht: Das hat uns jemand angetan.«
     
    Einige Stunden später saßen uns drei Offiziere gegenüber. Man hatte uns geweckt, und ich rechnete mit dem Ärgsten. Vielleicht würden sie uns nach Colombo zurückschicken oder uns schlagen. Doch sobald die Offiziere sich setzten, sagte Cassius: »Das hat uns jemand angetan, aber ich weiß nicht, wer … Sie waren maskiert«, fügte er hinzu.
    Diese verblüffende Enthüllung bedeutete, dass das Verhör durch die Offiziere wesentlich länger dauern würde, damit wir sie davon überzeugen konnten, dass wir die Wahrheit sagten, obwohl die Abschürfungen durch die Seile deutlich genug bewiesen, dass wir uns nicht selbst gefesselt haben konnten. Sie boten uns Schiffstee an, und wir dachten, man hätte uns unsere Geschichte abgenommen, als ein Steward hereinkam und sagte, der Kapitän wolle uns sprechen. Cassius zwinkerte mir zu. Er hatte oft davon gesprochen, dass er die Toilette des Kapitäns sehen wollte.
    Wie wir später erfuhren, hatte einer der Offiziere bereits Ramadhins Kabine aufgesucht, weil man wusste, dass er mit uns befreundet war. Ramadhin hatte sich schlafend gestellt, und als man ihn weckte, hatte er so getan, als wüsste er von nichts, sobald er erfahren hatte, dass wir noch am Leben und nicht über Bord gespült worden waren. Das muss gegen Mitternacht gewesen sein. Inzwischen war es zwei Uhr morgens. Wir wurden in Bademäntel gekleidet und dem Kapitän vorgeführt. Cassius sah sich um und begutachtete die Ausstattung des Raums, als der Kapitän krachend mit der Faust auf den Tisch schlug.
    Wir kannten den Kapitän

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