Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch
welchen verzweigten unterirdischen Wegen ihr Mann sein Geld investiert hatte. Viele dieser Informationen gab Hector de Silva im Lauf des Zyklons preis, als er sich hin und her wälzte, während das Schiff sich aufbäumte und hinabtauchte. Das schien ihm sogar Spaß zu machen, während seine Frau und die übrige Entourage von seinem Bett wegliefen, um sich in ihren eigenen Kabinen zu übergeben. Der Stechapfelextrakt hatte ihn von allen Hemmungen befreit, von allen Nebenwirkungen seines Leidens und von aller Vorsicht. Falls es ein Aphrodisiakum war, verwandelte es ihn von einem spröden und distanzierten Partner in einen liebevollen Gefährten. Zuerst fiel sein Charakterwandel nicht weiter auf. Das Schiff befand sich mitten in einem Sturm. Im Maschinenraum war ein kleines Feuer ausgebrochen, als er zum erstenmal in seinem Erwachsenenleben die Wahrheit zu sagen begann. Und das schreckliche Wetter hatte die Taschendiebe hervorgelockt, die stets von unsicheren Zeiten profitieren, wenn konkrete Hilfe benötigt wird. Zusätzlich war eine ganze Getreideladung im Frachtraum nass geworden und geplatzt und hatte das Gewicht des Schiffs verschoben, und deshalb mussten Hilfsmannschaften nun dort unten das Getreide zusammenschaufeln, während Zimmermänner die Trennwände wieder zusammenbauten. Sie arbeiteten in der Finsternis des Laderaums im spärlichen Licht einer Öllampe, beschäftigt mit »Totengräberarbeit«, wie Joseph Conrad es nannte, bis zur Hüfte im Getreide stehend. Unterdessen erzählte Sir Hector seinem kleinen Hofstaat, wie er als Kind auf einem Jahrmarkt in Colombo in einem dahinsegelnden Fahrzeug gefahren war. Er erzählte die harmlose, liebenswerte Begebenheit immer wieder und präsentierte sie Frau und Tochter und den drei desinteressierten Pflegern jedesmal so, als wäre sie völlig neu.
Unabhängig von dem Geschick, das unserem Schiff bestimmt war, das mittlerweile wie ein Sarg im Auge des Zyklons trieb, genoss Sir Hector noch einige gute Tage, in denen er ungeniert die Wahrheit äußerte über seinen Reichtum, seine heimlichen Freuden und seine ungeheuchelte Zuneigung zu seiner Frau, während das Schiff in die Eingeweide des Meeres hinabtauchte und dann wie ein krustenüberzogener Quastenflosser auftauchte, an dem das Wasser hinunterlief, so dass die Maschinisten gegen die glühendheißen Motoren geschleudert wurden und sich die Arme verbrannten und das, was angeblich die Hautevolee ganz Asiens war, in den langen Gängen gegen Taschendiebe stolperte und Mitglieder des Orchesters mitten unter »Blame It on My Youth« vom Podest stürzten, während Cassius und ich mit ausgebreiteten Armen und Beinen auf dem Promenadendeck im Regen lagen.
Nach und nach fanden sich wieder Leute auf den Decks und in den Speisesälen ein. Miss Lasqueti kam lächelnd auf uns zu und sagte, der Chefsteward müsse alle »ungewöhnlichen Begebenheiten« in ein Logbuch eintragen, und so würden wir vielleicht in die Annalen des Schiffs eingehen. Außerdem waren in mehreren Fällen Dinge »verlegt« worden. Krocketschläger waren verschwunden, Brieftaschen waren im Verlauf des Sturms verlorengegangen. Unser Kapitän trat auf und sagte, an alle gerichtet, ein Grammophon aus dem Besitz einer Miss Quinn-Cardiff sei verloren und nicht aufzufinden und jede diesbezügliche Mitteilung würde begrüßt werden. Cassius, der vor kurzem im Laderaum gewesen war und den Ingenieuren dabei zugesehen hatte, wie sie ein Stück Pumpenschlauch flickten, behauptete, das Grammophon spiele dort unten laut und ohne Unterlass. Diesen gehäuften Verlusten trat die Schiffsbesatzung entgegen mit der Meldung, in einem Rettungsboot habe man einen Ohrring gefunden, der im Büro des Pursers identifiziert und abgeholt werden könne. Das Glasauge des zweiten Pursers wurde nicht erwähnt, doch die wenigen Dinge, die gefunden wurden, waren weiterhin Gegenstand von Meldungen: »Gefunden: Eine Brosche. Ein brauner Damenfilzhut. Eine Zeitschrift mit ungewöhnlichen Bildern, die Mr. Berridge gehört.«
Dass das Schiff den Sturm überstanden hatte und das Wetter besser wurde, hatte sein Gutes: Der Gefangene durfte wieder abends an Deck gehen. Wir warteten auf ihn, und schließlich sahen wir ihn gefesselt an Deck. Er holte tief Luft – nahm alle Energie auf, die in der Nachtluft um ihn herum war – und atmete sie dann aus, das Gesicht von einem Lächeln verklärt.
Unser Schiff dampfte in Richtung Aden.
An Land
ADEN WAR DER ERSTE HAFEN , wo wir anlegten, und am
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