Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch
vorbeigleitenden Land abseilen konnte, um dort die Zollunterlagen abzuzeichnen. Ich sah, wie ein Gemälde vom Schiff abgeladen wurde. Ich erhaschte nur einen flüchtigen Blick, aber es kam mir bekannt vor – vielleicht hatte ich es in einem der Aufenthaltsräume der ersten Klasse gesehen. Warum sollte ein Bild von dem Schiff weggebracht werden? Ich hätte nicht zu sagen gewusst, ob all das, was sich abspielte, ordentlich und legal oder blindwütig kriminelles Treiben war, denn nur wenige Offiziere überwachten das Tun, an Deck war kein Licht, und alles geschah heimlich. Es gab nur die beleuchteten Fenster auf der Brücke mit den reglosen drei Silhouetten, als leiteten Marionetten das Schiff und befolgten die Anweisungen des Hafenlotsen. Ein paarmal kam er an Deck und pfiff in die Dunkelheit, um einem Mann Anweisungen zu erteilen, den er an Land erkannt hatte. Ein entsprechender Pfiff war die Antwort, und dann hörten wir das Platschen, mit dem eine Kette ins Wasser fiel, und der Bug unseres Schiffs machte plötzlich einen Ruck, um sich wieder auszurichten. Ramadhin lief auf der Suche nach seinem Hund immer wieder das Schiff entlang, hin und zurück. Cassius und ich hingen gefährlich tief über die Reling des Bugs hinunter, um die bruchstückhaften Bilder zu betrachten, die sich uns unten darboten – ein Händler mit seinem Lebensmittelstand, Maschinisten, die sich an einem Feuer unterhielten, das Entladen von Abfall –, Leute und Dinge, die wir nie wieder erleben würden, wie wir begriffen. Und so kam uns der geringfügige und wichtige Sachverhalt zu Bewusstsein, dass unser Leben durch interessante Fremde bereichert werden kann, die an einem vorbeigehen, ohne dass man näher mit ihnen zu tun hat.
Ich weiß noch heute, wie wir uns in diesem Kanal vorwärts bewegten, erinnere mich, dass man nicht viel sah, aber dafür Geräusche hörte, Botschaften vom Ufer, erinnere mich an die Schlafenden an Deck, die all diese vielfältigen Aktivitäten verschliefen. Wir hingen an der Reling und hopsten auf und ab. Wir hätten hinunterfallen und von unserem Schiff abgetrieben werden und ein neues Schicksal finden können – als Bettelknaben oder als Prinzen. »Onkel!« riefen wir, wenn jemand nahe genug war, um unsere kleinen Gestalten zu erkennen. Und die Leute winkten uns zu und lachten. »Hallo Onkel!« Jeder, der uns in jener Nacht vorbeifahren sah, war ein Onkel. Jemand warf uns eine Orange zu. Eine Orange aus der Wüste! Cassius rief immer wieder nach Bidis, aber man verstand ihn nicht. Ein Dockarbeiter hielt etwas hoch, eine Pflanze oder ein Tier, doch man konnte in der Dunkelheit nichts erkennen.
Kein anderes Schiff befuhr in jener Nacht die dunklen Wasser des Kanals. Seit über einem Tag hatte Funkkontakt bestanden, um zu gewährleisten, dass wir genau um Mitternacht in den Kanal gelangten, wie es vorgesehen war. Unter einer schaukelnden Kette elektrischen Lichts saß unten am Ufer ein Mann an einem Behelfstisch und füllte Formulare aus, die er einem Läufer überreichte, der das Schiff einholte und die mit einem Metallgewicht versehenen Papiere an Bord warf, so dass sie vor den Füßen eines Matrosen landeten. Wir hielten nie inne, wir ließen den Läufer zurück, den Mann an dem Tisch, der in Windeseile die Formulare ausfüllte, und einen Feldkoch, der über offenem Feuer etwas röstete, dessen Bratenduft ein Gottesgeschenk war, ein nächtliches Verlangen, eine Versuchung, sich von dem Schiff zu stehlen nach all den europäischen Speisen, die wir seit Tagen aßen. Cassius sagte: »Das riecht wie Weihrauch.« Und so verfolgte unser Schiff seinen Weg, von diesen Fremden geleitet. Wir sammelten frische Ware vom Land ein, feilschten um Dinge, die an Bord geworfen wurden. Wer weiß, was in jener Nacht den Besitzer wechselte, zu welchen Kreuzbefruchtungen es kam, während die Transitpapiere abgezeichnet und an Land zurückbefördert wurden, als wir die flüchtige Welt von El Suweis betraten und verließen?
Wir trieben dem Morgenlicht entgegen. Verklumpte Wolken sprenkelten den Himmel. Die ganze Fahrt über hatten wir nie Wolken zu sehen bekommen bis auf die dunklen Wolkengebirge, die sich bei den Stürmen über unserem Schiff zusammengeballt hatten und über uns hereingebrochen waren. Und als wir uns Port Said näherten, kam ein Sandsturm auf und lauerte über uns, ein letzter Seufzer Arabiens, der das Radarsystem des Schiffs außer Gefecht setzte. Deshalb war unsere Ankunft in El Suweis so sorgfältig für Mitternacht
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