Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch
Blick bedacht, verbunden mit leichtem Kopfschütteln. Ich sah den Baron ziemlich nahe bei der Familie des Verstorbenen stehen. Alle Gäste des Katzentischs hatten sich eingefunden. Sogar Mr. Fonseka hatte seine Kabine verlassen und war zur Bestattung heraufgekommen. Er stand neben uns, in schwarzem Rock und mit Krawatte, die er wahrscheinlich beide bei Kundanmals im Fort für seine Reise nach England erstanden hatte.
Wir blickten hinunter zu den kleinen Gestalten des Hofstaats, die den aufgebockten Tisch mit der Büste Hector de Silvas und spärlichen Blumen umringten. Man konnte kaum die Worte des Priesters verstehen. Seine Stimme stockte und verflüchtigte sich im Wind, der aus der Wüste herbrauste. Als die Familie sich dem Leichnam in seinem weißen Leichentuch näherte, lehnten wir uns alle über die Reling, um mit anzusehen, welches Geheimnis dem Toten anvertraut werden würde. Dann rutschte Hector de Silva von dem Schiff hinunter und verschwand im Meer. Es gab weder Gewehrschüsse noch Kanonensalven, wie Cassius es uns versprochen hatte. Es wurde nichts mehr gesagt oder getan, um die Zeremonie abzuschließen. Nur Mr. Fonseka sagte leise etwas zu denen, die neben ihm standen. »Wer ersehnte sich das Meer? Seine herrliche Einsamkeit, schöner / Als die Vorzimmer der Könige.« Er sprach Kiplings Verse so, dass sie uns großartig und weise erschienen. Die Ironie im Zusammenhang mit Hector de Silvas Leben war uns nicht aufgefallen.
Wenige Stunden später gab es einen weiteren Vortrag zur Teestunde, um uns diesmal auf den Suezkanal vorzubereiten: einen Vortrag über de Lesseps und über die zahllosen Arbeiter, die während der Arbeit an dem Kanal an der Cholera gestorben waren, und über die gegenwärtige Bedeutung des Kanals als Handelsroute. Ramadhin und ich kamen vorzeitig und suchten uns auf den Tischen die besten der Sandwiches aus, die für die Verköstigung nach dem Vortrag vorgesehen waren. Mitten im Vortrag begegnete ich unversehens Flavia Prins und zwei ihrer Partnerinnen beim Kartenspiel, während ich mit mehreren Sandwiches auf dem Arm eilig die Tische mit den Erfrischungen verließ. Sie erfasste die Situation mit einem Blick und ging wortlos an mir vorbei.
WIR ERREICHTEN DEN KANAL in der Dunkelheit, Punkt Mitternacht. Einige Passagiere kampierten an Deck, um diesen Augenblick zu erleben, doch sie waren so schläfrig, dass sie kaum das Klingeln und Läuten hörten, das unser Schiff in das enge Nadelöhr von El Suweis einwies. Wir hielten, um einen arabischen Hafenlotsen an Bord zu nehmen, der von seinem Kahn eine Strickleiter hochkletterte. Er ging langsam zur Brücke, unbeeindruckt von jeder Autorität. Das hier war nun sein Reich. Er war derjenige, der uns in noch seichtere Wasser führen und die Fahrtrichtung so lenken würde, dass wir in den engen Kanal schlüpfen und darin die hundertneunzig Kilometer bis nach Port Said fahren konnten. Wir sahen ihn in den hellerleuchteten niedrigen Fenstern der Brücke neben dem Kapitän und zwei Offizieren.
In dieser Nacht taten wir kein Auge zu.
Keine halbe Stunde später fuhren wir ganz langsam an einem Dock aus Beton entlang, auf dem Kisten zu riesigen Pyramiden gestapelt waren und Männer mit elektrischen Leitungen und mit Gepäckwagen neben der Oronsay herliefen. In den schwefelgelben Lichtsegmenten herrschte allenthalben schnelle, konzentrierte Geschäftigkeit. Wir hörten Rufe und Pfiffe, und in einer Pause hörten wir Hundegebell, das Ramadhin für das Bellen seines Hündchens aus Aden hielt, das versuchte, ans Ufer zurückzugelangen. Wir beugten uns über die Reling, atmeten die Luft in großen Zügen ein, saugten sie auf. An diese Nacht erinnerten wir uns später am lebhaftesten, und heute noch gerate ich hin und wieder im Traum in diese Zeit zurück. Wir selbst taten nichts, sondern sahen zu, wie eine sich ständig verändernde Welt an unserem Schiff vorbeizog, in einer wandelbaren Dunkelheit voller Andeutungen. Unsichtbare Zugmaschinen bewegten sich knirschend und jaulend entlang von Pfeilern. Kräne senkten sich tief herab, bereit, einen von uns aufzugreifen, wenn wir vorbeirannten. Wir hatten die offenen Meere mit zweiundzwanzig Knoten Geschwindigkeit überquert, und nun bewegten wir uns, als humpelten wir, mit der Geschwindigkeit eines gemächlichen Fahrrads, als entrollte sich langsam eine Spirale.
Bündel wurden auf das Vordeck geschleudert. Ein Tau war an der Reling befestigt worden, damit ein Matrose sich zum
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