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Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Titel: Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ondaatje
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seine erfundene Persönlichkeit so schnell wie möglich an den Mann zu bringen. Man spricht jeden mit dem Vornamen an. Man muss wach sein und wie ein Verbrecher denken können. Und dann gibt es die anderen Undercoveragenten, die noch raffinierter vorgehen. Wie vielleicht dieser Perera. Wahrscheinlich kriecht er hier herum. Wir können ihn bloß noch nicht erkennen. Giggs ist das Aushängeschild. Und Perera – wer weiß?«
    Allem Anschein nach war dieser unsichtbare, dieser »blinde« Perera ein Meister in jener Disziplin, die später als Scheinhinrichtung bezeichnet werden würde. Das geht so vor sich: Ein Undercoveragent schließt sich an einen Verbrecher an, freundet sich mit ihm an und jagt ihm gleichzeitig Angst ein, indem er ihm zu verstehen gibt, dass er, der Undercoveragent, noch viel gefährlicher und rücksichtsloser ist als der andere. Es gab das Gerücht, dieser Perera, im wahren Leben ein herzensguter Familienvater, sei mit einem Verdächtigen in Kandy in den Wald gegangen und habe ihn gezwungen, dort ein Grab auszuheben. Das Grab musste einen Meter zwanzig lang und einen knappen Meter tief sein, damit man die Leiche zusammengeklappt hineinstecken konnte. Früh am nächsten Morgen, sagte er, werde es eine Hinrichtung geben. Das junge Bandenmitglied, das aus dieser Ankündigung darauf schloss, dass Perera eng mit den Bossen der Gangsterwelt zusammenarbeitete, enthüllte ihm daraufhin seine eigenen kriminellen Verbindungen.
    So sah die Arbeit aus, die Perera dem Hörensagen nach Tag für Tag oder Nacht für Nacht im Dienst der Kriminalpolizei verrichtete. Aber davon wussten wir damals nichts.

Wie alt seid ihr? Wie heißt ihr?
    JEDESMAL WENN WIR MIT DER OBRIGKEIT in Kontakt kamen, stellten wir fest, dass wir die ganze Zeit Fragen beantworten mussten.
    Während der Befragung nach dem Sturm, als wir mehr vor Kälte als aus Furcht zitterten, fragte der Kapitän uns dauernd, wie alt wir seien. Wir antworteten, er nickte, vergaß die Antwort und fragte uns eine Minute später wieder das gleiche. Wir nahmen an, dass er langsam von Begriff oder zu hektisch sei, denn er war immer schon bei der nächsten Frage, wenn wir antworteten, und hörte nie zu. Aber allmählich wurde uns klar, dass er sein Sprüchlein mit hohntriefender Stimme sagte. Dass darin die spöttische Frage verborgen war: Wie blöd seid ihr eigentlich?
    Wir waren der Ansicht, eine Heldentat vollbracht zu haben. Waren die Stunden, die wir mit gespreizten Armen und Beinen während des Zyklons verbracht hatten, denn nicht der Geschichte von dem Sünder vergleichbar, der auf dem Weg nach Damaskus geblendet wurde? Später im Leben erfuhr ich mit Genugtuung, dass Helden wie Shackleton von meiner Schule relegiert worden waren, wahrscheinlich wegen solcher Vorkommnisse. »Wie alt sind Sie, Sir!« hatte der Aufseher den ungehorsamen und allzu ehrgeizigen Jungen angeschnauzt.
    Uns war nicht entgangen, dass der Kapitän keine hohe Meinung von seiner asiatischen Fracht hatte. An mehreren Abenden trug er ein Gedicht von A. P. Herbert über zunehmenden Nationalismus im Orient vor, das er für witzig hielt und das mit den Worten endete:
     
    Und alle Krähen in den Bäumen
    krächzten: »Banyan den Banyanen!«
     
    Der Kapitän war stolz auf sein Paradestück, und mein Misstrauen gegenüber der Autorität und dem Prestige aller Tische der Mächtigen datiert vermutlich aus dieser Zeit. Und dann war da der Nachmittag mit dem Baron, als mein Blick zwischen der edlen Büste Hector de Silvas und dem scheinbar leblosen Körper des Schlafenden auf dem Bett hin- und hergewandert war. Kurz nach seiner Beisetzung näherte ich mich deshalb dem aufgebockten Tisch, auf dem die Büste immer noch stand, als wäre sie vergessen worden. Es gelang Cassius und mir, sie hochzuheben (er hielt sie an den Ohren, ich an der Nase) und zur Reling zu rollen und dem Leichnam hinterherzuwerfen.
    Vielleicht war uns die Neugier auf die Mächtigen vergangen. Letzten Endes war uns der sanfte Mr. Daniels lieber, der seine Pflanzen inbrünstig umsorgte, und die blasse Erscheinung Miss Lasquetis in ihrer Taubenjacke voll wattierter Taschen, in denen sie ihre Vögel transportierte. Es würden immer Fremde wie sie sein, die mich an den verschiedenen Katzentischen meines Lebens zu einem anderen Menschen machen sollten.

Der Schneider
    DER RESERVIERTESTE GAST an unserem Tisch war Mr. Gunesekera, der Schneider. Als er sich am ersten Tag zu uns setzte, hatte er sich vorgestellt, indem er einfach seine

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