Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch
Karte verteilte. Nähen Gunesekera. Prince Street, Kandy. So verkündete er seinen Beruf. Während unserer Mahlzeiten saß er schweigend und stillvergnügt da. Er lachte, wenn die anderen lachten, und nie war sein Schweigen ungemütlich. Aber ob er die Scherze verstand, weiß ich nicht. Vermutlich eher nicht. Dennoch war er der liebenswürdigste und höflichste von uns Tischgenossen, auch wenn er ab und zu den Eindruck haben musste, dass wir uns ungehobelt betrugen, vor allem wenn Mr. Mazappas heiseres Lachen erklang. Stets rückte er als erster Miss Lasqueti einen Stuhl zurecht, und indem er unsere Gesten deutete, reichte er das Salz weiter oder wedelte mit der Hand vor dem Mund, um uns zu bedeuten, dass die Suppe heiß sei. Und er schien sich immer für unsere Gespräche zu interessieren. Doch bisher hatte Mr. Gunesekera auf der ganzen Reise noch kein Wort gesagt. Selbst wenn man ihn auf singhalesisch ansprach, zuckte er nur vieldeutig die Schultern und beschrieb mit dem Kopf eine Kreisbewegung, um sich für sein Ausweichen zu entschuldigen.
Er war ein schmächtiger, schmaler Mann. Wenn er aß, beobachtete ich seine graziösen Finger, mit denen er irgendwo an der Prince Street in Windeseile genäht hatte, wo er sich vielleicht mit seinen Freunden vergnügte. Einmal war Emily beim Abendessen an unseren Tisch gekommen; sie hatte einen blauen Striemen nahe dem Auge, wo sie nachmittags ein Badmintonschläger getroffen hatte. Und Mr. Gunesekera drehte sich mit besorgter Miene auf seinem Stuhl um und streckte die Hand aus, um mit seinen behutsamen Fingern die Schwellung zu betasten, als suche er nach der Ursache. Emily war plötzlich gerührt und legte ihm die Hand auf die Schulter, und dann ergriff sie kurz seine Finger. Es war einer der seltenen Augenblicke völliger Stille an unserem Tisch.
Später wies Mr. Nevil uns darauf hin, dass es quer über Mr. Gunesekeras Kehle eine Narbe gab, die von einer schlimmen Verletzung herrühren mochte und die er mit dem roten Baumwollschal verdeckte, den er immer trug. Hin und wieder war sie zu sehen, wenn der Schal verrutschte. Nach dieser Erkenntnis verschonten wir Mr. Gunesekera mit Fragen. Wir fragten ihn nicht, warum er nach England fuhr, ob es wegen des Verlusts eines Verwandten geschah oder um einer besonderen ärztlichen Behandlung seiner Stimmbänder willen. Es war kaum anzunehmen, dass er zum Vergnügen hinfuhr, bedachte man seinen Zustand, in dem er mit niemandem kommunizieren konnte oder wollte.
JEDEN MORGEN, KAUM DASS DIE SONNE aufgegangen war, leckte ich Salz von der Reling des Schiffs, denn inzwischen bildete ich mir ein, ich könnte den Geschmack des Indischen Ozeans von dem des Mittelmeers unterscheiden. Ich tauchte in das Schwimmbecken und schwamm wie ein Frosch unter der Wasseroberfläche, machte am Ende der Bahn kehrt und schwamm unter Wasser zurück, um die Leistungsfähigkeit meiner Lungen und meiner zwei Herzen zu erproben. Ich sah, wie Miss Lasqueti die Geduld mit dem Krimi verlor, den sie durchblätterte, und sich anschickte, ihn in das Meer zu werfen, das wir gerade befuhren. Und wie die anderen berauschte ich mich an Emilys Gegenwart, wenn sie vorbeischlenderte und sich mit uns unterhielt.
»Du darfst dich nie für unwichtig im großen Zusammenhang der Dinge halten«, hatte Mr. Mazappa einmal zu mir gesagt. Oder vielleicht war es Miss Lasqueti gewesen. Ich weiß nicht mehr mit Gewissheit, wer es war, denn am Ende unserer Reise hatten ihre Ansichten sich amalgamiert. Wenn ich zurückblicke, bin ich mir nicht mehr sicher, wer mir welche Ratschläge gab oder freundschaftlich mit uns verkehrte oder uns täuschte. Und einige Geschehnisse begriff ich erst viel später.
Wer beispielsweise hat uns als erster die Villa Doria in Genua beschrieben? Oder ist es möglicherweise eine Erinnerung aus späterer Zeit, als ich dieses Gebäude als Erwachsener betrat und die Steintreppe zu jedem neuen Stockwerk hinaufstieg? Denn etwas ist an diesem Bild, was ich in all den Jahren nicht vergessen habe, als könnte es erklären, wie wir uns der Zukunft nähern oder in die Vergangenheit zurückblicken. Man beginnt im Erdgeschoss des Palasts, sieht sich ein paar naive Karten von Häfen der näheren Umgebung und der benachbarten Küsten an; und wenn man dann Stockwerk um Stockwerk hinaufsteigt, verzeichnen zunehmend neuere Karten teilweise entdeckte Inseln, mögliche Kontinente. Irgendwo im ersten Stock spielt jemand Brahms. Man hört die Musik beim
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