Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch
man mir sagte, nicht einmal das, was ich sah.
Sie sagte, es komme ihr vor, als wäre ich in der Überzeugung aufgewachsen, dass alles gefährlich sei. Das müsse die Folge eines Verrats sein. »Deshalb kannst du Freundschaft und Nähe nur denen geben, die dir fernstehen.« Dann fragte sie mich, ob ich noch immer überzeugt sei, dass meine Cousine in einen Mord verwickelt gewesen sei. Dass sie noch immer in Gefahr wäre, wenn ich mich öffnete und die Wahrheit über das sagte, was ich wisse. »Dein verdammtes vorsichtiges Herz. Wer war es, den du geliebt hast? Wer hat dir das angetan?«
»Ich habe dich geliebt.«
»Wie?«
»Ich sagte, dass ich dich geliebt habe.«
»Das glaube ich nicht. Jemand hat dich beschädigt. Sag mir, was passiert ist, als du nach England kamst.«
»Ich bin in die Schule gekommen.«
»Nein, als du ankamst. Es muss etwas passiert sein. Ich dachte, du wärst ganz normal, als ich dich nach Ramadhins Tod wiedergesehen habe. Aber jetzt denke ich das nicht mehr. Was?«
»Ich habe gesagt, dass ich dich geliebt habe.«
»O ja, geliebt . Dabei gehst du gerade aus meinem Leben.«
Auf diese Weise verbrannten wir das wenige Gute, das zwischen uns geblieben war, zu Recht oder zu Unrecht.
SEIT WIR PORT SAID VERLASSEN HATTEN , spielten die Musiker wie gewohnt in ihren pflaumenfarbenen Anzügen jeden Nachmittag auf dem Promadendeck Walzer, und jedermann kam an Deck, um die mildere Sonne des Mittelmeers zu genießen. Mr. Giggs ging zwischen uns umher und schüttelte Leuten die Hand. Und Mr. Gunesekera war da, mit seinem roten Schal um den Hals, und verbeugte sich, wenn er vorbeikam. Miss Lasqueti trug ihre Taubenjacke mit den zehn wattierten Taschen, und jede davon beherbergte eine Tümmlertaube oder eine Jakobinertaube, deren Köpfe herausragten, während ihre Besitzerin die Decks entlangschritt, damit sie Seeluft schnuppern konnten. Aber kein Mr. Mazappa war da. Sein unbändiger, rauher Humor war nicht mehr da. Es gab nur wenig Aufregendes, am spektakulärsten darunter das Gerücht, der O’Neal-Weimaraner sei zur Zeit unserer Abfahrt aus Port Said vom Schiff gesprungen und an Land geschwommen. Aber wir waren uns sicher, dass Mr. Invernio hinter dem Hund ins Meer gesprungen wäre, wenn der Hund über Bord gegangen wäre. Trotzdem freute es uns, dass unser Kapitän mit dem Verschwinden dieses zweimaligen Gewinners der Crufts-Hundeausstellung neuen Ärger am Hals hatte. Bislang hatte diese Fahrt sich nicht als sein größter Erfolg erwiesen. Noch so ein Zwischenfall, sagte Miss Lasqueti, und es könnte seine letzte Fahrt gewesen sein. In den vier Wänden unserer Kabine deutete Mr. Hastie die Möglichkeit an, dass Invernio den Weimaraner irgendwo versteckt hielt, denn es war kein Geheimnis, dass er in das Tier vernarrt war, und er hatte sein Verschwinden ziemlich gleichmütig zur Kenntnis genommen. Mr. Hastie sagte, es würde ihn nicht wundern, wenn man Mrs. Invernio – falls es eine Mrs. Invernio gab – in wenigen Wochen den Rassehund im Battersea-Park ausführen sehen könnte.
Eines Abends wurde ein Freiluftkonzert auf dem Promenadendeck gegeben, während das Meer in unseren Ohren rauschte. Es war klassische Musik, etwas, was Cassius, Ramadhin und mir völlig unbekannt war, und weil wir uns Sitze in der ersten Reihe gesichert hatten, konnten wir nicht aufstehen und verschwinden, es sei denn, wir taten so, als wäre uns plötzlich übel. Ich hörte nicht richtig zu, sondern versuchte mir einen dramatischen Abgang von meinem Sitzplatz auszudenken, bei dem ich die Hände vor den Bauch hielt. Aber hin und wieder hörte ich etwas, was mir vertraut war. Diese Töne kamen von einer rothaarigen Frau auf der Bühne, die ihre Haare hin und her warf und allein auf ihrer Geige spielte, wenn die anderen Musiker verstummt waren. Irgend etwas an ihr wirkte sehr vertraut. Vielleicht hatte ich sie im Schwimmbecken gesehen. Von hinten drückte eine Hand meine Schulter, und ich drehte mich um.
»Ich glaube, sie könnte deine Geigerin sein«, flüsterte mir Miss Lasqueti ins Ohr.
Ich hatte mich bei ihr über die nachmittäglichen Geräusche aus der Nachbarkabine beklagt. Ich sah in das Programm, das auf meinem Sitz lag. Dann sah ich zu der Frau, die bei jeder Pause in der Musik ihre wirre Mähne zurückwarf. Nicht ihr Gesicht war mir vertraut gewesen, sondern es waren die Töne und das Quietschen, die sich nun wieder mit der Musik der anderen Musiker verbanden. Es klang, als spielten sie ganz zufällig
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