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Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Titel: Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ondaatje
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akzeptiert.
    Ich bestürmte Miss Lasqueti mit Fragen über die Beziehung zwischen Mr. Giggs und dem Gefangenen.
    »Wenn der Gefangene einen englischen Richter umgebracht hat, dann ist es eine sehr gravierende Angelegenheit. Dann wird es kein Gerichtsverfahren auf der Insel geben. Es gab eine Vorverhandlung, und jetzt wird das Verfahren einem englischen Gericht übergeben. Warum interessiert dich das? Jedenfalls ist dieser Giggs zusammen mit einem Ermittlungsbeamten namens Mr. Perera dafür zuständig, dass der Gefangene auch nach England gelangt. Offenbar ist Niemeyer ein berüchtigter Ausbrecher. Die erste Zelle, in die man ihn gesteckt hat, hatte eine dicke Holztür, und es ist ihm tatsächlich gelungen, sie niederzubrennen und zu entkommen, obwohl er sich dabei Verbrennungen zugezogen hat. Einmal ist er mitsamt Handschellen und an ihn geketteten Wärter aus einem Zug gesprungen und hat den Wärter trotz aller Gegenwehr mitgeschleppt, bis er einen Schmied fand. Offenbar ist mit ihm nicht gut Kirschen essen.«
    »Warum hat er den Richter umgebracht, Tante?«
    »Nenn mich bitte nicht Tante … Ich weiß es nicht. Ich versuche es herauszufinden.«
    »War es ein schlechter Richter?«
    »Das weiß ich nicht. Gibt es so etwas? Das wollen wir nicht hoffen.«
    Ich verließ Miss Lasqueti nach diesem kurzen Gespräch, unschlüssig, was ich von alldem halten sollte. Ich sah, wie sie plötzlich den Kurs wechselte und auf Mr. Giggs zuging, und ich sah, dass er mit Interesse und Aufmerksamkeit dem lauschte, was sie zu ihm sagte.
    Bei unserer nächsten Mahlzeit erzählte sie uns alles, was sie in Erfahrung gebracht hatte. Offenbar war das ganze Schiff von Giggs und Perera gründlich durchsucht worden, bevor überhaupt der erste Passagier an Bord gekommen war. Den Gefangenen zu begleiten bedeutete auch, jede geringste Kleinigkeit in allen Bereichen des Schiffs zu überprüfen. Sie versperrten eventuelle Fluchtwege, entfernten an und für sich harmlose Gegenstände – einen Sandeimer für Feuerwehrübungen, eine Eisenstange –, die man als Waffe benutzen konnte. Sie suchten die Passagierlisten nach Verbündeten des Gefangenen ab, deren Namen bekannt waren. Sie heuerten Wärter von den Malediven an, die keine Kontakte nach Ceylon hatten. Sie hatten zwei Tage auf die umfassende Durchsuchung des Schiffs verwendet. Nun waren sie außerordentlich wachsam, und das war der Grund, weshalb Mr. Giggs immer oben vor der Brücke saß, denn von dort aus hatte er das Treiben an Bord weitgehend im Auge. Er hatte Miss Lasqueti auch erklärt, dass der Rang der Begleiter der Schwere der Tat geschuldet sei: Mr. Perera galt als der beste Mann der Kriminalpolizei von Colombo, und Mr. Giggs war der beste Mann aus England, auch wenn es wie Eigenlob klang. Und so kam es, dass sie und die Wärter von den Malediven jeden Schritt und jede Geste des Gefangenen namens Niemeyer überwachten.

Der »blinde« Perera
    WÄHREND GIGGS MITTLERWEILE zum Gesprächsgegenstand Nummer eins auf der Oronsay avanciert war und von allen beobachtet wurde, war sein Partner bei dem Unternehmen zwar ebenfalls in aller Munde, aber unsichtbar. Mr. Perera, den Polizeibeamten aus Ceylon, bekamen wir nie zu sehen. Perera war ein verbreiteter Name. Wir wussten nur, dass unser Perera zu den Pereras gehörte, die sich ohne i schrieben – Perera, nicht Pereira, denn die gab es auch –, also ein »blinder« Perera war. Die Kriminalpolizei hatte einen Beamten in Zivil auf das Schiff geschickt, damit etwaige Verschwörer an Bord nicht erkennen konnten, wer sie beobachtete. Und während Giggs herumstolzierte und sich unübersehbar vor der Brücke positionierte, blieb sein hochrangiges asiatisches Pendant unsichtbar. Beide hatten vor uns das Schiff betreten und es gründlich durchsucht. Als wir an Bord gingen, war Perera nichts weiter als ein anonymer Passagier. Manche äußerten sogar den Verdacht, es könnten zwei Pereras inkognito unter uns sein.
    Wir unterhielten uns oft über den geheimnisvollen Kriminalbeamten. Wer war er? Wie sah er aus? Einen ganzen Nachmittag lang hefteten Cassius und ich uns jeder verdächtig wirkenden Person an Bord an die Fersen, um zu sehen, ob sie irgend etwas Auffälliges tat. »Es gibt zwei Arten von Undercoveragenten«, erklärte Miss Lasqueti. »Die geselligen und die ungeselligen. Bei verdeckten Einsätzen freundet man sich schnell, spontan mit fremden Leuten an. Man betritt eine Bar und lernt sofort jede Kellnerin und jeden Barmann kennen. Man versucht

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