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Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Titel: Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ondaatje
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während wir in der erstickenden Hitze warteten.
    »Nein, nicht hier.«
    »Hier«, sagte er.
    Geraschel.
    »Dann lass –«
    »Dein Mund. So süß«, sagte er.
    »Ja. Die Milch.«
    »Milch?«
    »Ich habe beim Abendessen eine Artischocke gegessen. Wenn man eine Artischocke isst und danach Milch trinkt, dann schmeckt die Milch süß … Selbst wenn es Wein gibt, bestelle ich Milch. Wenn ich eine Artischocke gegessen habe.«
    Wir konnten uns keinen Reim darauf machen, worüber sie sprachen. Vielleicht führten sie ihr Gespräch in einem Geheimcode. Langes Schweigen. Dann ein Lachen.
    »Ich muss bald zurück …« sagte Sunil.
    Was immer sich da abspielen mochte, überstieg jedenfalls unser Begriffsvermögen. Cassius beugte sich zu mir und flüsterte: »Wo ist die Artischocke?«
    Ich hörte, wie ein Streichholz entzündet wurde, und dann roch ich den Rauch ihrer Zigarette. Player’s Navy Cut.
    Und unversehens unterhielten sie sich vorsichtiger, als wären sie auf einmal Fremde. Es war verwirrend. Der Dialog über Artischocken hatte uns nicht darauf vorbereitet. Inzwischen ging es um Zeitabläufe, darum, wie oft die Wache nachts das Promenadendeck kontrollierte, wann dem Gefangenen sein Essen gebracht wurde und wann er an Deck geführt wurde. »Ich möchte dich um etwas bitten«, sagte Sunil, und dann flüsterten sie wieder.
    »Kann er so was wirklich tun?« Emilys Stimme war plötzlich klar und deutlich in der Dunkelheit zu hören. Sie klang erschrocken.
    »Er weiß, wann die Wärter unaufmerksam oder müde sind. Aber er ist noch schwach von den Schlägen.«
    »Was für Schläge? Wann war das?«
    »Nach dem Zyklon.«
    Wir erinnerten uns, dass der Gefangene kurz vor Aden mehrere Nächte nicht an Deck gebracht worden war.
    »Sie müssen einen Verdacht gehabt haben.«
    Was für einen Verdacht?
    Es war, als könnten Cassius und ich einander im Dunkeln denken hören, während der langsame Mechanismus unserer jungen Gehirne diese abrupte Information zu verarbeiten versuchte.
    »Du musst dafür sorgen, dass er sich hier mit dir trifft. Sag uns den Zeitpunkt. Wir werden bereit sein.«
    Sie schwieg.
    »Er wird hinter dir her sein.« Das sagte er lachend. »Entmutige ihn nicht.«
    Ich dachte, ich hätte ihn Mr. Daniels’ Namen nennen hören, aber er begann von jemandem namens Perera zu sprechen, und nach einer Weile konnte ich kaum noch die Augen offenhalten. Als sie gingen, wäre ich am liebsten an Ort und Stelle eingeschlafen, aber Cassius rüttelte mich wach, und wir kletterten aus dem Rettungsboot.

Mr. Giggs
    DIE ANWESENHEIT EINES ENGLISCHEN OFFIZIERS an Bord der Oronsay hatte die Passagiere während des ersten Teils der Fahrt wenig interessiert. Wir sahen ihn allein die Decks entlangwandern und zu der engen Terrasse vor der Brücke hinaufsteigen, wo er sich auf einen Segeltuchstuhl setzte, als gehörte ihm das Schiff. Nach und nach sickerte allerdings durch, dass Mr. Giggs ein hochrangiger Armeeoffizier war, den man nach Colombo entsendet und – so wurde gemunkelt – mit jemandem von der dortigen Kriminalpolizei zusammengespannt hatte, der nun inkognito mitfuhr.
    Beide hatten den Auftrag, den Gefangenen Niemeyer nach England zu bringen, wo ihm der Prozess gemacht werden würde. Es hieß, der Ermittlungsbeamte aus Colombo sei irgendwo in der Touristenklasse untergebracht. Wir hatten keine Ahnung, wo der Engländer logierte. Es wurde vermutet, dass er über luxuriösere Räumlichkeiten verfügte.
    Mr. Daniels verkündete am Katzentisch, Mr. Giggs sei bei einem erbitterten Streit mit den Wärtern gesehen worden, kurz nachdem Niemeyer so brutal verprügelt worden war. Man wusste nicht, ob Giggs ihnen Vorhaltungen wegen ihrer Brutalität gemacht hatte oder ob er sich nur geärgert hatte, weil die Misshandlung sich herumgesprochen hatte. Oder Giggs hatte sich aufgeregt – wie Miss Lasqueti zu bedenken gab –, weil der Übergriff der Wärter dem Gefangenen bei der bevorstehenden Verurteilung einen Ausweg, ein juristisches Schlupfloch ermöglichen konnte.
    Am auffälligsten an dem englischen Polizeibeamten fand ich seine Arme mit ihrer gekräuselten, rötlichblonden Behaarung, deren Anblick ich nur schwer ertragen konnte. Er trug gebügelte Hemden und Shorts und wadenlange Socken, doch seine rötliche Behaarung irritierte mich, und als er bei einem der Tanzabende Emily zu einem Walzer aufforderte, war ich empört, fast als wäre ich ihr Vater. Selbst Mr. Daniels hätte ich eher als Partner für meine schöne Cousine

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