Kau Dich gesund
immer schwieriger. Es muß alles ziemlich schnell gehen, der Schauspieler muß fast funktionieren wie eine Marionette. Man darf sich vor der Kamera kaum mehr einen »Hänger« erlauben, wenn man im Geschäft bleiben möchte. Und trotzdem soll man in dieser knallharten Situation natürlich auch noch möglichst viel »Seele« rüberbringen. Aber das halt auch möglichst schnell. Eine große nervliche Belastung. Allerdings gibt es auch rühmliche Ausnahmen! Menschen, die eine positive Ausstrahlung haben, wie Georg Lohmeier, der Regisseur und Autor von »Ora et labora«. Er, mit seinem schmunzelnden, blinzelnden Humor (ein wirklich sympathischer Mensch!) löste – Gott sei Dank – eine wohltuende Ruhe auf mich aus.
Abb. 19: Georg Lohmeier, Regisseur und Autor der ZDF-Serie »Ora et labora« und Jürgen Schilling in der Rolle des »Apothekers«, unmittelbar nach dem Dreh der »skandalösen Rede« (mit Gott sei Dank leerem Magen!)
Trotzdem entstand eine beinahe verteufelte Situation an diesem 3. Dezember … Ich kam an den Drehort Schloß Andechs. »Herr Schilling, bitte gleich in Kostüm und Maske« , hieß es sofort. Und danach war erst einmal 1–2 Stunden gar nichts. Warten, wie es so üblich ist am Set. Dann plötzlich sollte es losgehen, doch der freundliche Aufnahmeleiter (Florian Zapatka) rief: »Halt, wir machen vor der großen Szene mit Herrn Schilling erst noch Mittagspause«. Auweh, wie gerne hätte ich meine Szene jetzt gleich in den Kasten gebracht, noch vor dem Mittagessen, denn jetzt hieß es noch einmal warten. Und dann die klassische Situation überhaupt, die Gretchen-Frage: Gehe ich mit zum Essen oder nicht? Normalerweise ist es ja üblich mitzugehen, man ist ja schließlich von der Produktion noch eingeladen. Aber für mich stand sofort fest: Nie und nimmer gehe ich jetzt essen.
Es gab auch noch Eisbein und Sauerkraut. Früher hätte ich mir mitnichten diesen Leckerbissen entgehen lassen. Doch mit dem Ergebnis: Danach beim Drehen vermutlich Konzentrationsschwierigkeiten wegen fehlender Energien, die der Organismus nun in fällige Verdauungsarbeit ableiten muß. Dies ist überhaupt der größte Irrglaube, der im Volksmund kursiert, daß man nach dem Essen gestärkt sein soll. Das prompte Gegenteil ist der Fall, denn das größte Potenzial an Kraft wendet sich jetzt dem Verdauungsprozeß zu. Daher fühlen sich viele Menschen nach dem Essen müde, schlapp, ja unkonzentriert. Noch matter und unmotivierter befindet sich natürlich derjenige, der seine Bissen auch noch zu schnell hinunterschlingt.
So entschied ich mich vor meiner großen Rede im Kloster Andechs, ohne eine Sekunde zu zögern, gegen Eisbein mit Sauerkraut. Und ich sollte Recht behalten. Schon nach einer verhältnismäßig kurzen Zeit (fürs gründliche Kauen auf jeden Fall viel zu kurzen Zeit) rief der ebenso freundliche wie engagierte Aufnahmeleiter Florian Zapatka, daß die Mittagpause vorbei sei. Es wurde im Höllentempo eingerichtet, eingeleuchtet, die Szene vorbereitet, kurz geprobt und dann wurde bereits gedreht. Ich war wunderbar drauf. All meine Energien waren fokussiert auf den großen Augenblick. All meine Liebe und Hingabe floß in die Konzentration auf die große Rede meines »Apothekers«. (Diese wertvolle Kraft mußte ich jetzt nicht verteilen auf die Verdauung von Eisbein und Sauerkraut.)
Und dann der Knüller: Georg Lohmeier, der Regisseur, drehte meine Riesenszene (8 Minuten) in einem Stück durch. Ohne Stop. Und ohne irgend eine Passage noch einmal zu wiederholen. Das ist völlig ungewöhnlich. Aber ich hatte keinen einzigen Hänger, keine Ungereimtheit im Ausdruck, keine Unsicherheit in der Sprache oder im Spiel, sonst hätte der Regisseur ja sofort die Szene noch ein paar malwiederholt, bis sie sitzt. Wer hat von dem Spielchen nicht schon mal gehört: »Szene 3 zum 23. Mal!« Dem war diesmal nicht so. Ich brachte die Rede von Andechs, der ich wochenlang entgegengefiebert hatte, souverän und locker über die Bühne.
Ich komme mir jetzt etwas komisch vor, weil das alles ein bißchen nach Eigenlob klingt, aber ich erzähle das Erlebnis von Andechs deswegen so gern, weil ich mit diesem Beispiel etwas Wichtiges demonstrieren möchte: Meine Super-Konzentration wäre mit einem üppig, schnell hinter mich gebrachten Essen (und das noch vor dem Hintergrund, daß es nach dem Essen ja gleich mit dem Drehen richtig zur Sache ging) gänzlich unwahrscheinlich gewesen. Davon abgesehen, daß ich nicht hätte richtig in Ruhe kauen
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