Kau Dich gesund
können und daher zu schnell, forciert geschluckt hätte wegen der viel zu knapp bemessenen Mittagspause. Außerdem wäre meine aktuelle Stimmungslage (leichte Aufgeregtheit wegen des bevorstehenden Drehs) äußerst ungeeignet gewesen, um der Mahlzeit auch nur eine halbwegs gute Verdauungsarbeit zukommen zu lassen. Ich hätte mich bestimmt durch meine Rede mühsam mit etlichen »Hängern« durchbeißen müssen. Zum Leidwesen des Regisseurs und vor allem des Produzenten. Denn jede Wiederholung einer Szene kostet der Produktion eine Menge Geld.
Normalerweise wird eine derartige lange und schwierige Szene (zur Freude des Schauspielers!) in 2–3 Einstellungen unterteilt und dann auch noch ein paar Mal wiederholt beim Drehen, um es künstlerisch noch besser hinzukriegen. Dieses Lob darf jedoch nicht mir gelten, sondern der neuen Eßtechnik. Denn auch das gehört zum Schmauen: die Koordination, das Feeling, mit der richtigen Stimmung im rechten Augenblick zu essen, eben das Timing. Aber das stellt sich ganz von selbst ein. Und niemals ist Verzicht oder ein Opfer-Aufbringen-Müssen im Spiel. Das richtige Kauen und die damit einhergehende optimale Verdauung reinigt nicht nur den gesamten Verdauungstrakt, sondern auch die Instinkte. Die Sinne sind stets wach für das Gesunde, Lebensfördernde, daher auch für die richtige Einstellung zum Essen, für das richtige Timing.
Ich mußte am Drehort etwa nicht auf das Essen verzichten, sondern ich wollte in diesem für meine Verdauung ungünstigen Moment nicht essen. Es hätte mir gar nicht geschmeckt. Es war ein großes Lustgefühl für mich, jetzt nicht zu essen. Deswegen funktioniert diese Methode der Natur so hundertprozentig. Die Umstellung hängt nur mit Genuß zusammen. Das neue Eßverhalten empfindet man sofort als positiv und lustbetont. Und nach ein paar Wochen wird das Schmauen einem so vorkommen, als hätte man schon immer so gegessen. Nur mit noch mehr Genuß! Und kein noch so ungewöhnlicherUmstand der Welt kann uns jemals wieder wegbringen von unseren zurückgekehrten gesunden Instinkten. Durch das unentwegte Training der Kaumuskeln und Speichelkraft und dem genußreichen Ausschmecken eines jeden Bissens wird unser Geschmackssinn derartig geschult und virtuos ausgebildet, daß wir in einer Streßsituation niemals mehr auf den Gedanken und schon gar nicht auf den Geschmack kommen könnten, zu essen.
Das Essen wird wieder zum Zentrum, dem sich alles andere unterzuordnen hat. Wenn ich zum Beispiel vor einem wichtigen Termin stehe oder mal gerade knapp an Zeit bin, bringt mich auch der größte Hunger nicht dazu, etwas zu essen. Ich spüre den Hunger dann gar nicht mehr. Würde ich jetzt essen, wäre die Verdauung keine vorzügliche mehr. Im Klartext: Keine Verwertung, höchstens Vergiftung. Ich täte Mißbrauch mit mir. Also melden mir meine feinsinnigen, neu ausgebildeten Instinkte »Iß jetzt nichts!« – und es funktioniert vortrefflich. Sogar mit Spaß. Dies wäre früher absolut unmöglich gewesen.
Übrigens: Unser Hunger hängt oft in größtem Maße nur mit einem Gewohnheits-Hunger zusammen. Wie wir diesen Quäler, diesen unruhigen Geist erfolgreich und auch mit der größten Lust zur Strecke bringen, verrät uns das Buch »Kau Dich gesund!«.
Durch Experimente in den letzten Jahren bin ich zu dem Schluß gekommen, daß sich die Ausbildung meiner Freude am Geschmack derartig entwickelt hat, daß ich den wundervollen Genuß – wenn ich esse – mit keiner schnöden Ablenkung der Welt teilen möchte. Es bereitet mir einfach keinen Spaß mehr so wie früher zu essen. Ich würde nichts mehr empfinden, nichts mehr erleben beim Essen. Aber ich möchte empfinden, erleben und möglichst viel spüren beim Essen!
Das ist wohl das Entscheidende. Durch die tiefe, konzentrierte Hinwendung zum wundervollen Geschmackserlebnis im Mund, macht mir das Essen nur noch Spaß, wenn ich es in einem ruhigen, beschaulichen Moment genießen kann. Fazit: Ich schlucke diesen wohlschmeckenden Bissen nicht eher, bis ich aus ihm auch das allerletzte Fünkchen Geschmack herausgezogen/herausgeschmeckt/herausgenossen habe. Das Ereignisvolle an dieser Technik ist, daß ich dieses neue, wundervolle Bewußtsein (fast hätte ich gesagt: diese Meditation) auch sofort herstellen kann, wenn ich bei einer Party oder bei irgend einem andern gesellschaftlichen Anlaß speise.
Mir fällt da ein schönes Beispiel ein: Ich bewunderte früher immer meinen Onkel Erwin – eine leidenschaftliche
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