Kautschuk
genau zu erkennen? Nun ging er weiter – verließ, ohne sich umzuschauen, das Laboratorium.
Als Tilly um zwei Uhr zurückkam, war Wittebold mit seiner Arbeit fertig. Aber statt nun zu gehen, druckste er eine Zeitlang so offenkundig, daß Tilly aufmerksam wurde.
»Na, haben Sie noch was Besonderes auf dem Herzen, Wittebold?«
»Ach ja, Fräulein Doktor. Ich möchte gern für morgen Urlaub haben. Ein naher Verwandter in Berlin ist schwer erkrankt.«
»Und da wollen Sie nach Berlin?«
»Ja, Fräulein Doktor; wenn Sie so gut wären und ...«
»Aber gewiß, Wittebold. Fragt sich nur, wer Sie vertritt.« »Oh, Schappmann würde das wohl gern übernehmen.«
»Na – dann ist’s ja gut! Fahren Sie! Für einen Tag bedarf es ja keines großen Urlaubsgesuches. Das machen wir unter der Hand.« —
Nach Werkschluß saß Wittebold in seiner Stube, ohne Licht, im Dunklen. Den Kopf in den Arm gestützt, dachte er über den heutigen Tag nach. Schüttelte den Kopf: Möglich, daß ich mich täusche; aber besser doch, man geht der Sache mal nach. Schade nur um das teure Fahrgeld, wenn’s vergeblich wäre ...
Mit dem ersten Personenzug fuhr Wittebold in aller Herrgottsfrühe nach Berlin.
Als Schappmann am Morgen mit seiner alten Mappe durch das Verwaltungsgebäude kam, begegneten ihm Generaldirektor Kampendonk und Dr. Wolff. Stramm, wie gewöhnlich, grüßte Schappmann die beiden, und sein altes Herz schlug wann in froher Dankbarkeit, als der Generaldirektor ihm freundlich zunickte und sagte: »Guten Morgen, Schappmann!«
Fräulein Knappe, die Sekretärin Kampendonks, hatte schon kurz nach neun Uhr die leitenden Direktionsmitglieder ins Zimmer des Generaldirektors gebeten.
»Meine Herren«, erklärte ihnen Kampendonk, »die Schweinerei hat noch kein Ende. Ein neuer übler Fall! Man kommt sich allmählich wie verraten und verkauft hier vor. Mit der Morgenpost erhielt ich einen Brief von unserm Agenten in Schottland. Man arbeitet in dem dortigen Werk der United Chemical an dem Fortuynschen Verfahren der Kautschuksynthese und fußt dabei auf Fortuynschem Material!«
Sekundenlang riefe Stille. Nur hier und da ein gepreßtes Atmen.
»Geben Sie mir den Brief!« wandte sich Kampendonk an Fräulein Knappe.
Sie lief in sein Zimmer zurück – ärgerlich, daß sie den Brief dort vergessen hatte. Und fand den Korrespondenten Lohmann mit einer roten Mappe unmittelbar neben dem Schreibtisch. Fräulein Knappe hätte sich vor die Stirn schlagen mögen: Den Brief so offen liegenzulassen –!
»Was wollen Sie?« herrschte sie Lohmann an. »Sind Sie schon lange hier?«
»Nein – eben erst reingekommen, ... ‘ne eilige Unterschrift für den Herrn Generaldirektor ...«
»Her damit!« Fräulein Knappe riß ihm die Mappe aus der Hand, nahm den Brief und eilte zu Kampendonk zurück.
Inzwischen hatte sich da die Erstarrung gelöst. Ein unterdrücktes Durcheinander von Fragen, Antworten und Ausrufen. Fräulein Knappe schob schnell die Unterschriftsmappe vor Kampendonk hin, legte den Brief daneben.
»Also, meine Herren, unser Agent schreibt: ›Im Speziallaboratorium der Verwaltung der United Chemical wird seit einiger Zeit an der Kautschuksynthese nach neuem Verfahren gearbeitet. Soeben ist es mir gelungen festzustellen, daß man dabei Material benutzt, dem Fortuynsche Untersuchungen zugrunde liegen. Es scheint mir ganz außer Zweifel, daß in allerletzter Zeit wertvolle Informationen über Fortuyns Methode hierher-gelangt sind. Denn Mister Hopkins hat angeordnet, daß Doktor Watson einen verstärkten Stab von Mitarbeitern zugeteilt bekam, um mit allem Nachdruck dieses Verfahren auszubauen.‹«
»Es wäre wohl das gegebene«, meinte Düsterloh, »sofort Herrn Doktor Fortuyn hierherzubitten.«
»Gewiß!« entschied Kampendonk. »Fräulein Knappe, wollen Sie, bitte, Herrn Fortuyn benachrichtigen! Wer ist übrigens dieser Watson? Vielleicht ein bekannter Name in der englischen Wissenschaft, so daß man doppelte Furcht haben müßte?«
Keiner wußte etwas. »Vielleicht kann Moran darüber Auskunft geben!« rief eine Stimme aus dem Hintergrund.
»Gut! Bitten wir auch ihn hierher!«
Während Fräulein Knappe die Telefongespräche erledigte, wandte sich die Unterhaltung wieder dem Brief zu.
»Ist doch ein Paradoxon stärkster Art«, sagte Direktor Lindner, einer der jüngsten Direktoren und überzeugter Anhänger Fortuyns, »daß wir unseren Doktor Fortuyn mit seinem Verfahren von dem warmen Platz am Herd verdrängen und dafür Herrn
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