Kautschuk
hier gezogen. Nichts wäre verkehrter, meine Herren, als die beiden Methoden in Vergleich zu bringen. Fortuyns Synthese würde« – eine kleine Pause –, »wenn sie sich in der gewünschten Weise entwickeln läßt, die meinige sofort in den Schatten stellen!«
»Incertus an, incertus quando!« rief Dr. Abt laut lachend Dr. Wendt zu. Moran schien die Worte nicht gehört zu haben; jedenfalls nahm er keine Notiz davon.
Als Dr. Wendt in seine Abteilung zurückkam, war sein erster Gang zu Tilly, die während Fortuyns Abwesenheit dessen Büro als Arbeitszimmer genommen hatte, um eine schon seit langem fällige Sichtung und Ordnung der letzten Protokolle vorzunehmen.
»Augenblick, Tilly! Komme eben von drüben. Moran erklärte seinen Leuten gerade die neue Sache. Und wenn alles so klappt, wie er’s sich denkt, ist’s sicherlich kein fauler Zauber.« Er gab Tilly in großen Zügen ein Bild von dem, was er gesehen und vernommen hatte. »Höchst anständiger Kerl – muß ich sagen, Tilly. Besser konnte er dem dummen Schwätzer, dem Abt, nicht übers Maul fahren. Übrigens: dieser alberne Kerl versetzte mir zum Schluß noch eine Pflaume, die ich, offen gestanden – ich schäme mich ein bißchen ob meines mangelhaften Lateins –, nicht recht begriffen habe. Er sagte mit Anspielung auf Fortuyns Verfahren: ›Incertus an, incertus quando.‹«
»Lieber Rudi, ich habe schon so oft Ihre bedauernswerten Lehrer bemitleidet und kann das nur wiederholen. Das heißt wörtlich: ›Unsicher, ob – unsicher, wann.‹ Also, unser lieber früherer Kollege Abt wollte sagen, daß es jedenfalls sehr unsicher sei, ob Fortuyns Methode überhaupt jemals Erfolg haben würde.«
»Na – dem werd’ ich’s gelegentlich stecken!« brummte Rudi vor sich hin und ging hinaus.
Als um ein Uhr, nach der Mittagspause Wittebold in Fortuyns Zimmer kam, sagte ihm Tilly: »Ich hab’ hier eine Menge losen Materials« – sie deutete auf einen hohen Stapel auf dem Boden neben sich –, »das in die Akten eingeheftet werden muß. Eilige Arbeit! Ich geh’ eben zu Tisch. Machen Sie sich inzwischen darüber her!«
Wittebold nahm das ganze Material und trug es in einen Nebenraum, den Fortuyn zu technischen Arbeiten zu benutzen pflegte. Hier breitete er es auf einem großen Tisch aus. Er hatte noch nicht lange gearbeitet, da hörte er Schritte im Laboratorium. Weil er aber gleichzeitig das Klappern von Tellern und Bestecken vernahm, kümmerte er sich nicht weiter darum. Irgendein Angestellter des Kantiniers wahrscheinlich, der das Frühstücksgeschirr wegräumte. Er horchte erst auf, als die Schritte sich Fortuyns Arbeitszimmer näherten.
Was wollte der hier? Wittebold huschte leise hinter die halb-offene Tür. Durch den schmalen Spalt erkannte er den Büfettier Franz Meyer. Am Arm trug er einen Korb mit dem eingesammelten Geschirr. Obwohl er auf den ersten Blick sehen mußte, daß in Fortuyns Zimmer nichts für ihn abzuholen war, kam er doch herein, stellten Korb hin und griff nach dem Telefonhörer.
Wittebolds Erstaunen wuchs. Der Büfettier meldete ein Gespräch nach Berlin an.
Während der Wartezeit ging Meyer auf und ab, besah sich die Einrichtung, trat auch einmal auf die Schwelle und warf einen flüchtigen Blick ins Nebenzimmer, ohne Wittebold in seinem Versteck hinter der Tür zu bemerken.
Das Telefon meldete sich. Meyer sprach: »Bitte, Herrn Boffin, falls er noch dort ist! ... Ja? Dann rufen Sie ihn an den Apparat!« Nach einer Weile: »Ja – hier Meyer ... Das Gewünschte geht Ihnen morgen durch einen Boten zu ... Wie meinen –? Die Analyse? Da konnten Sie doch zufrieden sein! Andere Wünsche teilen Sie, bitte, schriftlich mit! Ist besser, Herr Boffin, wenn Sie schreiben! ... Sonst nichts? ... Wie? Wer’s bringt? ... Weiß ich noch nicht.« Meyer legte den Hörer auf, nahm seinen Korb und entfernte sich.
Wittebold ging leise in Fortuyns Zimmer und sah sich um. Alles in Ordnung. Was hatte der Kerl hier aber zu telefonieren? Er trat an die Tür und schielte dem Manne nach, der dem gegenüberliegenden Ausgang zustrebte. Dort machte er an einem der offenstehenden Fenster plötzlich halt, schaute in das spiegelnde Glas, fuhr sich über den Scheitel, wie um ihn zu ordnen.
Wittebold täuschte sich über die Harmlosigkeit dieser scheinbar so natürlichen Geste. Wie konnte er auch ahnen, daß jene Fensterscheibe dem Meyer das Gesicht des Horchers hinter der Tür zeigte? Und daß er sich nur deshalb die Haare zurechtstrich, um den Beobachter
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