Kautschuk
Akten holen, die in einer Mappe auf seinem Schreibtisch liegen. Hier ist ein Brief, wo der Herr Direktor das auch noch mal aufgeschrieben hat.«
Frau Körner nahm achtlos das Papier. »Die Akten wollen Sie holen? Ja, gewiß – die liegen auf seinem Schreibtisch. Ist aber ‘n schweres Paket. Kommen Sie doch lieber selber mit rauf und holen Sie sich’s!«
Oben auf dem Flur machte Wirtebold einen Augenblick halt und sah sich um.
»Das letzte Zimmer auf dem Gang!« sagte Frau Körner. »Da müssen wir hin!«
Im selben Augenblick klingelte es unten. Die Wirtschafterin blieb unwillkürlich stehen, hörte, wie das Dienstmädchen die Haustür öffnete und ein Mann hereinkam.
Gleich darauf klang es von unten: »Frau Körner, der Monteur ist da! Er will die elektrische Flurlampe in Ordnung bringen!«
»Gott sei Dank!« rief die Wirtschafterin. »Das war ja nicht mehr zum Aushalten mit der verflixten Lampe!« Frau Körner überschüttete den Monteur mit einer Flut von Klagen über die schlechte Installation. Dreimal schon hätte der Chauffeur daran herumgepusselt, aber das hätte nichts geholfen; die Leitung sei immer wieder kaputt gegangen. Wie konnte Frau Körner auch wissen, daß die Attentate auf die »verflixte Lampe« ausgerechnet von Herrn Direktor Düsterloh selbst verübt worden waren! Denn der Weg von seinem Zimmer zu den Apartments des Fräuleins Adrienne L’Estoile führte über diesen Flur, und die hundertkerzige Birne erhellte unnötig nächtliche Exkursionen, die ein anderes Ziel als die Toilette anstrebten ...
Währenddessen stand Wittebold vor der Tür zu Düsterlohs Arbeitszimmer. Da die Frau Körner nicht die Absicht zu haben schien, den Monteur so ohne weiteres freizugeben, rief Wittebold aus dem Hintergrunde: »Ich habe Eile, Frau Körner! Muß zur Bahn!«
»Ach, gehn Sie doch rein und nehmen sich die Mappe selber weg!«
Als Wittebold eintrat, war es ihm, als bewege sich ein Vorhang, der das Arbeitszimmer von einem anderen trennte. Gleich darauf hörte er eine Tür dieses Nebenzimmers ins Schloß fallen.
Hm, dachte er, hab’ anscheinend hier jemand verscheucht! Seine Hand tastete über das Kissen des Schreibtischstuhles. Es war noch wann; ein Federhalter mitten auf dem Schreibtisch noch tintenfeucht; die Klappe der Ledermappe zurückgeschlagen. Ein paar Schriftstücke ragten heraus, als wären sie in größter Hast eingeschoben.
»Hm, hm!« Wittebold schob die Schriftstücke glatt. »Ganz sicher hab’ ich da jemand gestört.« Sein Blick fiel auf das Löschpapier der Schreibunterlage. Er kannte die breiten, energischen Schriftzüge Düsterlohs. Was er da auf dem Löschblatt sah, war die feine Schrift einer Frauenhand.
Es zuckte ihn in den Fingern, das Löschblatt abzulösen. Doch es war bereits stark benutzt, und sein Fehlen mußte unbedingt auffallen. Er zog die Mappe an sich. Allerdings, sie war recht schwer. Doch was war das? Durch den Druck der Mappe beim Wegziehen hatten sich ein paar Zeitungen verschoben, unter denen jetzt ein halbbeschriebener Foliobogen zum Vorschein kam. Der trug dieselben Schriftzüge, wie sie in Spiegelschrift auf dem Löschblatt standen.
Mit schnellem Blick überflog Wittebold den Inhalt. Wieder zuckte es in ihm, das Blatt mitzunehmen. Doch er beherrschte sich, nahm die Mappe und ging hinaus. Der Monteur stieg gerade auf eine Leiter. Frau Körner sah er eben noch die Treppen hinunter verschwinden. Während er sich mit Mühe um die Leiter herumzwängte, hörte er auf dem unteren Flur ein Telefongespräch. Es war zweifellos die Stimme des Fräuleins Adrienne, die sprach. Er hatte den Klang damals vom Hotel noch gut im Ohr; der französische Akzent war unverkennbar.
Wittebold fand die Arbeit des Monteurs an der Deckenlampe anscheinend äußerst interessant. Er blickte nach oben und beobachtete genau, wie der Monteur die Schrauben der Lampenfassung löste. Auch wenn der seinen Gedanken: ›Du dummes Luder da unten, was haste denn zu gucken?‹ laut ausgesprochen hätte, würde das Wittebold nicht gestört haben; denn er horchte angestrengt nach dem Telefongespräch hin.
Wie es schien, eine schlechte Nachricht für Fräulein Adrienne. Er hörte, wie sie jetzt sagte: »Wie meinst du, Onkel Albert? ... Sehr schlimm? ... Ach, du machst mir aber Angst! Ist sie denn bei Besinnung, die gute Tante? Ach – die arme Patel ... Sie möchte mich sehen? Ja, gewiß – ich würde ja auch ganz gern bei ihr sein ... aber die weite Reise! Ich bin hier in Hannover ... Was sagst
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