Kautschuk
Terlinden!« klagte Luise. »So jung und schon soviel Leid im Leben! Kinder hat sie auch nicht. Kann einem wirklich leid tun, die Frau!«
»Sie werden sich wundern, lieber Schappmann, wenn Sie mal zu uns ins Werk rüberkommen«, sagte Wittebold. »Hat wieder einige Änderungen gegeben. Was da eigentlich passiert ist, weiß ich nicht. Aber es kommt mir so vor, als wäre es aus mit
der Herrlichkeit von dem neuen Herrn Moran. Ein paar von seinen Assistenten, die früher bei Doktor Fortuyn gearbeitet haben, sind wieder in dessen Labor zurückversetzt worden.«
»Was Sie sagen, Herr Wittebold! Wer ist denn das alles?«
Wittebold nannte Dr. Lehnert und noch ein paar andere Namen.
»So? Und Doktor Abt nicht? Der war doch früher auch bei Fortuyn?« fragte Schappmann.
»Nein! Der gerade nicht. Wundert mich.«
»Ach!« machte Schappmann. »Hätt’ ich auch nicht getan, an Doktor Fortuyns Stelle! Hätt’ den Doktor Abt auch nicht wiedergenommen. Weiß nicht, der Herr hat mir niemals gefallen.«
»Warum denn, Herr Schappmann?« fragte Wittebold interessiert. »Was haben Sie denn gegen ihn?«
»Was soll ich gegen ihn haben? Er gefällt mir eben nicht – hat mir von Anfang an nicht gefallen. Schon wie der zu uns kam, hörte ich so nebenbei allerhand Sachen, die nicht schön waren. Der hat da irgendwo in Berlin ‘ne Frau sitzen gehabt, um die er sich so gut wie gar nicht gekümmert hat. Sie mußte ihn verklagen. Und dann hat er immer so ‘ne Weiber von woanders her hier mit hergebracht. Ein Skandal war’s, wie er mit denen hier in den besten Lokalen rumgezogen ist und sich gezeigt hat! – Na«, setzte Schappmann befriedigt hinzu, »das haben sie ihm ja auch von oben her nicht schlecht übelgenommen, und da hat er’s denn lassen müssen.«
»Scheint mir überhaupt ein Lebemann zu sein, der Herr Doktor Abt«, meinte Wittebold. »Wie ich so sehe und höre, ist er ja in den ›Vier Jahreszeiten‹ bester Gast. Muß Geld haben. Denn mit seinem Gehalt kann er doch eigentlich so große Sprünge nicht machen. Von seinen Reisen ganz zu schweigen.«
»Nee!« sagte Schappmann bestimmt. »Geld hat der nicht. Höchstens Schulden. Weiß doch, wie oft der Gerichtsvollzieher im Anfang, als er hier war, ihn besuchen kam! Das Geld muß er erst später gekriegt haben.«
»Hm!« Wittebold schaute nachdenklich auf die Reste des Napfkuchens, als ob er da sehen könnte, woher das Geld des Herrn Dr. Abt käme.
»Da wir nun mal gerade von Geld sprechen«, fing Schappmann an, »ich habe nächstens mal wieder Gelegenheit, ein paar Groschen zu verdienen.«
»Wollen wohl wieder mal einen vertreten?« fragte Wittebold. »Will ich!« versetzte Schappmann. »Und auf ein paar Monate gleich.«
»Nanu?« unterbrach Wittebold ihn erstaunt. »Davon haben Sie ja noch gar nichts gesagt. Wie denn? Wo denn?«
»Hab’ ich gestern auch noch nicht gewußt«, schmunzelte Schappmann. »Wie ich heute morgen dem Kollegen Börner begegne, hält der mich fest und sagt, er wird in den nächsten Tagen auf zwei Monate in den Harz geschickt von wegen seinem Blasebalg.« Schappmann klopfte sich dabei auf seinen mächtigen Brustkasten. »Der arme Kerl hat doch auch vor ein paar Jahren ‘ne ordentliche Prise Gas geschluckt. Ob ich mir denn zutraue, ihn die ganze Zeit zu vertreten? hat er gefragt. – ›Na‹, sagte ich, ›das wär’ ja noch schöner, wenn ich nicht die acht Wochen für dich abmachen könnte. So klapprig ist der alte Schappmann doch noch nicht!‹ Na, der Börner freute sich nicht schlecht. Nahm mich gleich mit ins Büro, und in null Komma nix war die Sache abgemacht!«
»Er spricht man so«, sagte Luise kopfschüttelnd zu Wittebold. »Acht Wochen lang nicht ins Bett kommen ... Ist das nicht leichtsinnig von so ‘nem alten Mann?«
»Ah, richtig«, meinte Wittebold. »Börner hat ja die Aufsicht über die Scheuerfrauen im Hauptgebäude ... Acht Wochen lang Nachtschicht, lieber Schappmann?«
Der strich sich selbstbewußt den grauen Schnurrbart. »Ach was! Alte Leute haben nicht viel Schlaf nötig. Ich kann am Tage genug schlafen. Außerdem dürfen Sie nicht vergessen, Kollege, daß es Pinke-Pinke für den Nachtdienst gibt. Und das Geld, das kann ich gut brauchen!«
»Hoho! Hoho!« machte Wittebold lachend. »Was haben Sie denn Schönes vor?«
»Was ich vorhabe? Das sollen Sie gleich wissen. Ich sitze nun mit meiner guten Luise schon vierzig Jahre hier. Und in den vierzig Jahren, da sind wir doch nicht einmal aus dem Nest rausgekommen.
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