Kay Scarpetta 16: Scarpetta
Gelegenheit Knüppel zwischen die Beine wirft? Das sind doch Machtspielchen. Tricks, um dir eins auszuwischen. Dich zu unterwerfen. Dich zu demütigen. Und ehe du dich's versiehst, landet der große Boss in deinem Bett.«
»Ich wusste gar nicht, dass du in diesen Dingen so eine Expertin bist«, meinte Berger.
»Das bin ich nicht. Wenn ich einmal mit einem Typen geschlafen habe, dann nie, weil er mich unterworfen hat. Es lag immer daran, dass ich einen Fehler gemacht habe.«
»Tut mir leid, ich hätte das nicht sagen dürfen«, erwiderte Berger.
Sie las weiter in den E- Mails. Lucy schwieg.
»Ich möchte mich entschuldigen«, ergriff Berger wieder das Wort. »Morales macht mich wütend. Du hast nämlich recht. Ich habe ihn nicht im Griff und nicht die Möglichkeit, ihn zu feuern. Leute wie er sollten nicht zur Polizei gehen. Sie kommen mit der Rangordnung nicht zurecht, befolgen keine Befehle, können nicht im Team arbeiten, und alle hassen sie wie die Pest.«
»Wahrscheinlich hatte ich deshalb eine so glanzvolle Karriere beim FBI«, antwortete Lucy ernst und mit leiser Stimme. »Der Unterschied ist nur, dass ich keine Spielchen treibe. Ich versuche nicht, meine Mitmenschen zu manipulieren oder klein zuhalten, damit ich sie ausnutzen kann. Ich mag Morales nicht, obwohl ich ihn noch nicht einmal kenne. Du solltest dich vor ihm hüten. Er gehört zu den Leuten, die einen in ernsthafte Schwierigkeiten bringen können. Es gefällt mir gar nicht, dass du offenbar nie weißt, wo er ist und was er gerade tut.«
Vier E-Mails auf dem geteilten Bildschirm ließen sie aufmerken, ein Briefwechsel zwischen Terri und Oscar.
»Ich glaube nicht, dass sie telefoniert haben«, stellte sie fest. »Die erste Mail wurde um acht Uhr siebenundvierzig geschickt, dann eine um neun Uhr zehn, die nächste um zehn Uhr vierzehn und die letzte um elf Uhr neunzehn. Warum hätte er ihr fast jede Stunde schreiben sollen, wenn sie telefoniert haben? Fällt dir auch auf, dass seine Briefe ziemlich lang sind, während sie sich kurz fasst? Und zwar immer.«
»Offenbar einer der Fälle, in denen das Nichtgesagte mehr verrät als tausend Worte«, stellte Berger fest. »Keine Anspielungen auf Telefonate, auf ihre Reaktionen oder auf Treffen mit ihr. Er schreibt Dinge wie Ich denke an dich. Ich wünschte, ich wäre bei dir. Was machst du gerade? Wahrscheinlich arbeitest du. Es scheint nicht auf Gegenseitigkeit zu beruhen.«
»Genau. Er schreibt seiner Freundin mehrmals am Abend.
Aber sie antwortet nicht.«
»Offenbar ist er der Romantischere von den beiden«, antwortete Berger. »Das soll nicht heißen, dass sie ihn nicht geliebt hat, denn das wissen weder du noch ich. Vielleicht erfahren wir es ja nie. Jedenfalls sind ihre Mails weniger emotional und zurückhaltender, während er nichts gegen sexuelle, ja, sogar beinahe pornographische Anspielungen hat.« »Kommt darauf an, wie man pornographisch definiert.« Berger klickte zurück auf eine E-Mail, die Oscar vor einer
knappen Woche an Terri geschickt hatte.
»Was ist daran pornographisch?«, erkundigte sich Lucy. »Ich glaube, ich habe sexuell eindeutig gemeint.«
»Du bearbeitest doch Sexualverbrechen«, sagte Lucy. »Oder hast du inzwischen in einer Sonntagsschule angeheuert? Er schreibt, er würde sie am liebsten überall ablecken. Der Gedanke allein würde ihn schon erregen.«
»Wahrscheinlich wollte er Cybersex mit ihr haben. Und sie hat ihn zurückgewiesen, indem sie einfach nicht geantwortet hat. Das hat ihn verärgert.«
»Er wollte ihr nur erklären, was er empfindet«, widersprach Lucy. »Und je hartnäckiger sie schwieg, desto beharrlicher wurde er, vermutlich aus Unsicherheit.«
»Oder aus Wut«, wandte Berger ein. »Die zunehmende Häufung sexueller Anspielungen könnte auch ein Anzeichen für Wut und Aggression sein. Das ist gar nicht gut, wenn die Adressatin dieser Schreiben schließlich ermordet wird.«
»Allmählich habe ich den Eindruck, dass die ständige Beschäftigung mit Sexualverbrechen irgendwann ihren Tribut fordert. Möglicherweise erschwert sie es, zwischen Erotik und Pornographie zu unterscheiden, zwischen Lust und ungesunder Begierde, zwischen Unsicherheit und Zorn. Irgendwann versteht man dann nicht mehr, dass manche Anspielungen positiv und nicht demütigend gemeint sind«, entgegnete Lucy. »Vielleicht bist du ja so desillusioniert, weil du tagtäglich mit widerwärtigem und gewaltsamem Sex zu tun hast. Und irgendwann
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