Kay Scarpetta 16: Scarpetta
Tragen gedacht gewesen war.
Keine Ahnung, ob noch Kaffeesahne da ist, da du der Einzige hier bist, der seinen Kaffee mit Kaffeesahne trinkt. Das war ihre Antwort gewesen.
Ihre letzten Worte in seinen Ohren.
Die Worte einer Widerspenstigen, die sie im selben grausamen Monat April geworden war, als irgendein Inder ihre Stelle bekommen hatte. Dicht beisammen hatten sie tagelang in ihrer kleinen Wohnung gesessen und sich mit Geldsorgen zermürbt. Denn schließlich war er Steuerberater und konnte rechnen.
Immer wieder hatte sie ihren letzten gemeinsamen Moment auf dieser Erde Revue passieren lassen, ihn hin und her gedreht und sich gefragt, ob sie nicht etwas hätte sagen oder tun können, um das Schicksal zu beeinflussen. Sie hätte ihm mitteilen können, dass sie ihn liebte, dass es heute sein Lieblingsessen - Lammkoteletts und gebackene Süßkartoffeln - geben würde und dass sie eine Hyazinthe im Topf für den Couchtisch gekauft hatte. Dann wäre er in Gedanken vielleicht bei diesen Themen gewesen und nicht bei dem, was ihn offenbar beschäftigt hatte, als er über die Straße gegangen war, ohne nach links und rechts zu schauen.
Hatte der Ärger über ihre patzige Bemerkung wegen der Kaffeesahne ihn womöglich abgelenkt?
Hätte sie ihn, sich selbst und ihre Ehe retten können, wenn sie ihn freundlich gebeten hätte, vorsichtig zu sein?
Sie starrte auf den Fernseher und stellte sich vor, wie er seine Zigarre rauchte und sich mit skeptischer Miene die Nachrichten anschaute. Immer wenn sie die Augen schloss, aus dem Augenwinkel etwas bemerkte - einen Schatten oder einen Wäschehaufen auf einem Stuhl- oder ihre Brille nicht trug, sah sie sein Gesicht vor sich. Sie sah ihn so, wie er gewesen war, bevor er ging. Und das erinnerte sie daran, dass es ihn nicht mehr gab.
Er hätte den teuren Fernseher gemustert. Schätzchen, warum dieser Fernseher?, hätte er gesagt. Wer braucht denn so einen Fernseher? Vermutlich wurde er nicht einmal in Amerika hergestellt. Wir können uns einen solchen Fernseher doch gar nicht leisten.
Er wäre nicht damit einverstanden gewesen. Mein Gott, eigentlich mit nichts, was sie getan oder angeschafft hatte, seit er fort war.
Der Lehnsessel war leer. Und beim Anblick der Stelle, die er abgewetzt hatte, wurde sie von Verzweiflung ergriffen. Erinnerungen stürmten auf sie ein.
Die Vermisstenmeldung.
Sie hatte sich gefühlt, als durchlebte sie eine schon hundertfach in Filmen gesehene Szene, als sie den Telefonhörer umklammerte und die Polizei anflehte, ihr zu glauben.
Glauben Sie mir. Bitte glauben Sie mir.
Sie hatte der Polizistin erklärt, ihr Mann treibe sich weder in Bars noch sonst irgendwo herum. Er habe keine Gedächtnisstörungen und auch keine Affäre, sondern käme immer pünktlich nach Hause wie ein Pfadfinder. Wenn ihn die »Abenteuerlust« gepackt oder er »schlechte Laune« gehabt hätte, hätte er Shrew angerufen.
Er hätte mir einfach gesagt, ich solle mich zum Teufel scheren, und er würde dann nach Hause kommen, wenn es ihm passte, wie beim letzten Mal, als er schlechter Laune gewesen ist, hatte Shrew der höflichen Polizistin erklärt, die klang, als hätte sie einen Kaugummi im Mund.
Niemand außer Shrew war in Panik. Niemand war interessiert.
Der Detective, wieder ein anderer Mitarbeiter der anonymen Massenveranstaltung namens New York Police Department, der sie schließlich anrief, hatte einen bedauernden Tonfall.
Ma'am, ich muss Ihnen leider mitteilen Gegen sechzehn
Uhr wurde ich zu einem Unfallort gerufen .
Der Polizist war ebenfalls höflich, aber sehr beschäftigt, und wiederholte mehrere Male, wie leid es ihm täte. Allerdings erbot er sich nicht, sie in die Gerichtsmedizin zu begleiten.
Gerichtsmedizin? Wo?
In der Nähe des Bellevue. Welches Bellevue?
Ma'am, es gibt nur ein Bellevue.
Das stimmt nicht. Wir haben das alte und das neue. In der Nähe welchen Bellevues ist denn die Gerichtsmedizin?
Sie sollte um acht Uhr morgens dort erscheinen, um die Leiche zu identifizieren. Der Polizist gab ihr die Adresse, damit sie die beiden Bellevues nicht verwechselte. Außerdem nannte er ihr den Namen der Gerichtsmedizinerin.
Dr. med. Lenora Lester.
Trotz ihrer hohen Qualifikation eine grässlich unfreundliche Person ohne einen Funken Mitgefühl, die Shrew hastig in den kleinen Raum geschoben und den Vorhang zurückgezogen
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