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Kay Scarpetta 16: Scarpetta

Titel: Kay Scarpetta 16: Scarpetta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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überhaupt nicht.« Vor Zorn spürte Marino seinen eigenen Herzschlag im Hals.
      »Wenn sie kündigen, kommt es in den Nachrichten«, sprach Morales weiter. »Und du weißt ja, wie es dann weitergeht. Zuerst wird es einen Skandal geben, weil die Titelseite der Post in zwei Meter hohen Schlagzeilen verkünden wird, dass Jaime Berger, Top-Staatsanwältin mit Spezialgebiet Sexualverbrechen, einen Sexualverbrecher eingestellt hat. Dann fliegt sie womöglich raus. Es ist kaum zu fassen, wie schnell man ein Kartenhaus zum Einsturz bringen kann, Mann. Jetzt muss ich aber Schluss machen. Was stimmt eigentlich an dem, was über dich und Kay auf dieser Website steht? Ich will ja nicht neugierig sein ... «
    »Dann sei es auch nicht, verdammt«, zischte Marino.
     
    4
    Oscar Banes gefesselte unbehaarte Beine baumelten über den Rand des Untersuchungstisches in einem der vielen Behandlungszimmer in der psychiatrischen Abteilung des Gefängnistrakts. Seine Augen, eines blau, das andere grün, vermittelten Scarpetta das beunruhigende Gefühl, von zwei verschiedenen Menschen angestarrt zu werden.
      Ein Wachmann stand - massiv und reglos wie die Rocky Mountains - an der Wand. Er ließ ihr genug Platz zum Arbeiten, konnte aber jederzeit eingreifen, falls Oscar gewalttätig werden sollte. Allerdings war das ziemlich unwahrscheinlich, denn er wirkte verängstigt und hatte offenbar geweint. Scarpetta spürte nicht, dass etwas Aggressives von ihm ausging, wie er so auf dem Untersuchungstisch saß. Das dünne Krankenhausnachthemd machte ihn verlegen. Es war zwar zu lang, klaffte aber unterhalb des Bindegürtels um die Taille immer wieder auseinander. Wenn er sich bewegte, um sich zu bedecken, war das leise Klirren von Ketten an seinen Händen und Füßen zu hören.
      Oscar war kleinwüchsig. Ein Zwerg. Seine Gliedmaßen und Finger waren zwar ungewöhnlich kurz, doch das Fähnchen von einem Nachthemd ließ erkennen, dass er anderweitig gut ausgestattet war. Fast hätte man sagen können, Gott habe ihn überreichlich für seine Erkrankung entschädigt.
    Scarpetta tippte auf Achondroplasie, ausgelöst durch eine spontane Mutation des für die Knochenbildung zuständigen Gens, die hauptsächlich Arme und Beine betrifft. Torso und Kopf waren, verglichen mit den Extremitäten, übergroß. Seine kurzen, dicken Finger teilten sich zwischen Mittelfinger und Ringfinger, so dass seine Hände fast wie ein Dreizack wirkten. Abgesehen davon machte er, anatomisch betrachtet, einen mehr oder weniger normalen Eindruck - abgesehen von den Dingen, die er sich unter Inkaufnahme großer Schmerzen und Kosten selbst zugefügt hatte.
      Seine blendend weißen Zähne waren lackiert, gebleicht oder sogar überkront worden. Sein kurzes Haar war leuchtend blond gefärbt. Seine Fingernägel waren poliert und makellos manikürt. Scarpetta hätte es zwar nicht beschwören können, aber sie war sicher, dass er seine glatte Stirn einigen Botoxspritzen zu verdanken hatte. Doch am bemerkenswertesten war sein Körper, der aussah wie aus beigem, von blaugrauen Adern durchzogenem Carrara-Marmor gemeißelt. Die Muskulatur war perfekt, die Haut fast völlig haarlos. Sein Erscheinungsbild mit den unterschiedlichen Augen und dem an eine Apollostatue erinnernden Schimmern war unwirklich und bizarr, weshalb Scarpetta Bentons Bemerkungen über Oscars Phobien recht merkwürdig fand. Um ein solches Aussehen zu erreichen, musste man viele Opfer auf dem Altar der Schmerzen bringen und sich vor denen verneigen, die sie einem zufügten.
      Sie spürte den Blick seiner blau-grünen Augen, als sie den Tatortkoffer öffnete, den Benton in seinem Büro für sie bereitgestellt hatte. Im Gegensatz zu Menschen, deren Beruf nicht den Einsatz von Pinzetten, Asservatentütchen, verschiedenen Behältern, Kameras, forensischen Lichtquellen, scharfen Klingen und vielem mehr erforderte, war Scarpetta gezwungen, das alles sogar in mehrfacher Ausführung mit sich zu führen. Seit man nicht einmal mehr mit einer Flasche Mineralwasser die Sicherheitsschleuse am Flughafen passieren durfte, waren Tatortkoffer absolut tabu. Und das Zücken ihrer Dienstmarke führte nur zu unerwünschter Aufmerksamkeit.
      Als sie es einmal auf dem Logan Airport damit versucht hatte, hatte man sie in einen Raum gesperrt, verhört, durchsucht und anderen entwürdigenden Prozeduren unterzogen, um sicherzugehen, dass sie keine Terroristin war - auch wenn selbst die Sicherheitsbeamten zugeben mussten, sie sei der

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