Kay Scarpetta 16: Scarpetta
fünf Zentimeter der rechte. Das ist nicht ungewöhnlich. Die meisten Menschen haben unterschiedlich lange Arme. Nun zu den Beinen. Könnten Sie sie bitte ausstrecken? Ich werde ab dem Hüftgelenk messen.«
Sie ertastete es durch den dünnen Baumwollstoff des Nachthemds und maß die Beinlänge bis zu den Zehenspitzen. Seine Fußketten klirrten leise, und seine Muskeln spielten, als er sich bewegte. Seine Beine waren nur etwa fünf Zentimeter länger als seine Arme und leicht gekrümmt. Nachdem Scarpetta sich die Maße notiert hatte, nahm sie weitere Papiere von der Arbeitsfläche.
»Ich würde gern die Informationen bestätigen, die ich bei meiner Ankunft erhalten habe«, begann sie. »Sie sind vierunddreißig Jahre alt. Ihr zweiter Vorname lautet Lawrence. Diesem Formular zufolge sind Sie Rechtshänder.« Sie war schon bis zum Geburtsdatum und der Adresse gekommen, als er ihr ins Wort fiel.
»Wollen Sie mich nicht fragen, warum ich darum gebeten habe, Sie zu holen? Warum ich Jaime Berger habe mitteilen lassen, dass ich nur kooperieren würde, wenn Sie kommen? Zum Teufel mit ihr.« Tränen traten ihm in die Augen, und seine Stimme zitterte. »Ohne sie wäre Terri noch am Leben.«
Er wandte den Kopf nach rechts und starrte an die Wand. »Haben Sie Schwierigkeiten, mich zu verstehen, Oscar?«, erkundigte sich Scarpetta.
»Mein rechtes Ohr«, erwiderte er mit einer Stimme, die ständig zwischen zwei Oktaven schwankte.
»Aber mit dem linken Ohr können Sie hören?«
»Eine chronische Ohrentzündung in der Kindheit. Deshalb bin ich auf dem rechten Ohr taub.«
»Kennen Sie Jaime Berger persönlich?«
»Diese Frau ist eiskalt und interessiert sich einen Dreck für ihre Mitmenschen. Sie sind da ganz anders. Sie haben Mitgefühl mit den Opfern. Ich brauche Ihre Hilfe. Sonst habe ich niemanden.«
»Warum bezeichnen Sie sich als Opfer?« Scarpetta beschriftete die Umschläge.
»Mein Leben ist verpfuscht. Der Mensch, der mir am meisten bedeutet hat, ist tot. Ich werde sie nie wiedersehen. Sie ist tot. Jetzt habe ich gar nichts mehr. Am liebsten würde ich sterben. Ich weiß, wer Sie sind und welchen Beruf Sie ausüben. Das wüsste ich auch, wenn Sie nicht berühmt wären. Ihre Prominenz spielt keine Rolle, dass ich darüber im Bilde bin. Ich musste mir schnell etwas einfallen lassen. Sehr schnell. Nachdem ich Terri ... Terri gefunden hatte« - seine Stimme kippte um, und er drängte die Tränen zurück -, »habe ich die Polizei gebeten, mich hierher zu bringen, wo ich in Sicherheit bin.«
»In Sicherheit wovor?«
»Ich sagte, ich könnte eine Gefahr für mich sein. „Was ist mit einer Gefahr für andere?“, haben sie gefragt. Und ich antwortete, nein, nur für mich selbst. Außerdem habe ich um eine Einzelzelle gebeten. Ich könnte unmöglich mit den anderen Insassen zusammenleben. Sie nennen mich schon den Killerzwerg und lachen mich aus. Die Polizei hatte keinen plausiblen Grund, mich festzunehmen. Aber sie halten mich für geisteskrank und wollen verhindern, dass ich mich aus dem Staub mache. Ich habe Geld und einen Pass, weil ich aus einer guten Familie in Connecticut stamme, auch wenn meine Eltern keine sehr netten Leute sind. Mir ist es egal, ob ich sterbe. Für die Polizei und Jaime Berger bin ich sowieso der Täter.«
»Sie geben sich die größte Mühe, Ihre Wünsche zu erfüllen. Immerhin sind Sie hier. Sie haben mit Dr. Wesley gesprochen. Jetzt bin ich bei Ihnen«, zählte Scarpetta auf.
»Die benutzen Sie nur. Ich bin ihnen völlig gleichgültig.« »Ich verspreche Ihnen, mich von niemandem benutzen zu lassen.«
»Die sind doch schon dabei. Um ihren eigenen Arsch zu retten. Das Urteil gegen mich steht bereits fest, und niemand ermittelt mehr weiter. Währenddessen läuft der wahre Mörder frei herum. Er kennt meinen Namen. Es wird bald ein nächstes Opfer geben. Der Täter wird wieder zuschlagen. Sie haben ein Motiv und einen Grund. Außerdem wurde ich gewarnt. Doch ich habe nicht gedacht, dass sie es auf Terri abgesehen hatten. Niemals wäre ich darauf gekommen, dass sie Terri umbringen würden.«
»Gewarnt?«
»Sie setzen sich mit mir in Verbindung. Ich erhalte Botschaften von ihnen.«
»Haben Sie das der Polizei erzählt?«
»Wenn man den Gegner nicht kennt, muss man sich gründlich überlegen, wem man sich anvertraut. Vor etwa einem Monat wollte ich Jaime Berger warnen, wie gefährlich es für mich sei, mein Wissen preiszugeben. Aber ich hätte nie
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