Kay Scarpetta 16: Scarpetta
hatte, nicht ahnend, dass das Programm für die Gotham-Gotcha-Website noch immer auf ihrem Vierundzwanzig-Zoll-Monitor prangte.
Terri hatte den Korb auf den Couchtisch gestellt und war schnurstracks zum Schreibtisch gegangen, was Shrew, als sie die Ereignisse nun auf dem Notizblock notierte, rückblickend ziemlich frech von ihr fand. Doch auch das durfte sie nicht erwähnen.
Während Terri den Bildschirm betrachtete, zermarterte Shrew sich das Hirn nach einer plausiblen Erklärung für den Text, bei dem es sich eindeutig um eine formatierte Kolumne für Gotham Gotcha handelte.
Was ist denn das? Terri war so klein, dass sie sich auf Augenhöhe mit dem Monitor auf der Schreibtischplatte befand.
Ich gestehe, dass ich Gotham Gotcha lese.
Warum sieht der Bildschirm so komisch aus? Sind Sie Programmiererin? Ich wusste gar nicht, dass Sie berufstätig sind.
Setzen Sie sich doch. Shrew schubste Terri beinahe zur Seite, um das Programm beenden zu können. Nein, ich bin nicht berufstätig, beteuerte sie rasch.
Als Terri sich aufs Sofa setzte, ragten ihre zu kurzen Beine über die Kante der Sitzfläche. Sie erzählte, sie schriebe zwar E-Mails, kenne sich sonst aber überhaupt nicht mit Computern aus. Natürlich habe sie von Gotham Gotcha gehört, weil man auf Schritt und Tritt über Werbung dafür stolpere und alle darüber sprächen. Doch sie habe die Kolumne noch nie gelesen. Erstens ließe ihr das Studium keine Zeit für derlei Freizeitaktivitäten, und zweitens interessiere sie sich nicht für Klatsch. Außerdem sei die Kolumne angeblich ziemlicher Schund. Dann fragte sie, ob Shrew das auch so sehe.
»Als ich am Vassar College studierte, habe ich einen Dramakurs belegt und einige Theaterstücke und Libretti für Musicals gelesen«, sagte Shrew. »Deshalb weiß ich, dass Drehbücher nicht zum Lesen bestimmt sind. Man muss sie spielen, aufführen, singen und so weiter. Hoffentlich stört es Sie nicht, wenn ich mich an die gute alte Prosa halte. Soll ich es Ihnen vorlesen?«
Sie hatte ein Kratzen im Hals. Die Erinnerungen und der Bourbon machten sie sentimental. Außerdem saß Detective Marino gewiss nicht in diesem Sessel, weil er nichts Besseres zu tun hatte. Denn er war sicher ein vielbeschäftigter Mann. Seine eigenartige Bitte war ein Hinweis darauf, dass sich im Haus gegenüber etwas Wichtiges, ein Verbrechen abgespielt haben musste. Natürlich gab es auch noch eine andere, weitaus folgenschwerere Erklärung: Er ermittelte verdeckt, womöglich im Auftrag der Regierung, weil sie der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verdächtigt wurde. Vielleicht wegen ihrer merkwürdigen Kontobewegungen, den Überweisungen aus Großbritannien zum Beispiel, und der Tatsache, dass sie keine Steuern bezahlte. Schließlich hatte sie auf dem Papier keine anderen Einkünfte als ihre Rente und ein paar Dollar aus einer privaten Lebensversicherung.
Sie las von ihrem Block ab. »Terri stellte den Korb auf den Couchtisch und kletterte, ohne zu zögern, aufs Sofa. Es war ziemlich offensichtlich, dass sie es gewöhnt war, mit ihren kurzen Armen und Beinen zurechtzukommen, so dass es ihr keine Mühe bereitete. Allerdings hatte ich sie noch nie sitzen gesehen, weshalb ich es ein wenig seltsam fand, dass ihre Füße über das Polster ragten wie bei einer Comicfigur oder einer Fünfjährigen. Ich muss noch hinzufügen, dass ich, unabhängig von dem, was sie sagte oder tat, bemerkte, dass sie sehr traurig war, sobald ich ihr die Tür öffnete. Sie schien sogar ziemlich verzweifelt zu sein. Die Art, wie sie den Korb hielt, verriet mir, dass sich etwas Ungewöhnliches darin befand, das sie loswerden wollte, weil es ihr Unbehagen bereitete.
Ich möchte außerdem erwähnen, was sie anhatte, da es ja auch zu der Szene gehört. Sie trug Jeans, Stiefeletten, dunkelblaue Socken und eine dunkelblaue Baumwollbluse, allerdings keine Jacke. An den Händen trug sie noch blaue Gummihandschuhe, denn sie hatte ihr Haus offensichtlich fluchtartig verlassen. Zweifellos steckte sie mitten in einer schweren Krise.
„Was ist denn um Himmels willen passiert?“, fragte ich sie und bot ihr etwas zu trinken an, was sie ablehnte.
„Ich weiß, wie sehr Sie Tiere lieben. Insbesondere Hunde“, antwortete sie und betrachtete die Hunde aus Kristall und Porzellan, Geschenke von meinem Mann, die überall in meiner Wohnung stehen.
„Das stimmt zwar, aber ich habe keine Ahnung, wie Sie darauf kommen. Seit Sie
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