Kay Scarpetta 16: Scarpetta
ausgerechnet dort zu parken.«
»Eigentlich sind Normalbürger oder neugierige Reporter das größere Problem. Aber ein Streifenwagen? Wie du meinst. Dann verzichte eben auf die Abschreckung. Deine Sache. Weißt du übrigens, warum gestern Abend die Außenbeleuchtung nicht brannte?«, erkundigte sich Marino.
»Ich weiß nur, dass sie aus war. Es steht in meinem Bericht.«
»Jetzt ist sie an.«
Windböen peitschten sie wie unsichtbare Wellen eines vom Sturm aufgewühlten Meeres, so dass Marino schon befürchtete, vom Dach geweht zu werden. Seine Hände waren steif vor Kälte. Er zog die Ärmel darüber.
»Ich würde vermuten, dass der Mörder sie gestern Abend ausgemacht hat«, sagte Morales.
»Warum sollte er das, wenn er doch schon im Haus war?« »Vielleicht hat er sie ausgemacht, als er ging, um nicht von einem Passanten oder aus einem vorbeifahrenden Auto beobachtet zu werden.«
»Dann kann Oscar es nicht gewesen sein. Der ist nämlich geblieben.«
»Wir haben keine Ahnung, was er getrieben hat. Vielleicht war er ja zwischendurch weg, um irgendwe1chen Mist beiseite zu schaffen. Zum Beispiel das Ding, mit dem sie erwürgt worden ist. Wo hast du geparkt? «, fügte Morales hinzu.
»Ein paar Straßen weiter«, erwiderte Marino.
»Ja, denn du bist schließlich die Diskretion in Person, Bro. Hat sich angehört, als würde eine Hundertfünfzig- Kilo- Katze an der Hauswand hochklettern. Schade, dass du nicht ein bisschen früher hier warst«, meinte Morales. »Siehst du die Frau, die da telefoniert?«
Er deutete auf die Wohnung, wo die Frau im grünen Pyjama immer noch gestikulierend ins Telefon sprach. »Erstaunlich, wie viele Leute ihre Vorhänge nicht zuziehen«, sagte Morales.
»Vermutlich ist das der wahre Grund, warum du hier oben rumhockst«, höhnte Marino.
»Das Fenster links, das jetzt dunkel ist, war vor etwa einer halben Stunde hell erleuchtet wie bei einer Filmpremiere. Und da war sie.«
Marino starrte auf das dunkle Fenster, als würde dort plötzlich wieder das Licht angehen und ihm zeigen, was er verpasst hatte.
»Raus aus der Dusche und runter mit dem Handtuch. Tolle Titten. Das heißt, wirklich tolle«, fuhr Morales fort. »Ich hatte schon Angst, ich würde von diesem Scheißdach fallen. Mein Gott, ich liebe meinen Beruf.«
Marino hätte auf den Anblick von fünfzig nackten Frauen verzichtet, wenn ihm dadurch erspart geblieben wäre, wieder von diesem Dach herunterzuklettern. Morales stand auf. Er schien hier oben in seinem Element zu sein wie eine Taube, während Marino vorsichtig in Richtung Dachkante rutschte. Sein Herz klopfte wie wild, und er fragte sich, was nur in ihn gefahren war. All die Jahre war er in Lucys Hubschraubern und Flugzeugen mitgeflogen. Verglaste Aufzüge und Hängebrücken waren seine Leidenschaft gewesen. Doch inzwischen hatte er Schwierigkeiten, auf eine Leiter zu steigen, um eine Glühbirne zu wechseln.
Er sah zu, wie Morales zur Satellitenschüssel ging. Irgendetwas an dem Kerl war ihm nicht geheuer. Morales hatte Eliteschulen besucht und war Arzt, oder hätte wenigstens einer werden können, falls er gewollt hätte. Außerdem sah er recht gut aus, auch wenn er sich die größte Mühe gab, den Eindruck eines Bandenmitglieds oder Latino-Gangsters zu erwecken. Der Mann strotzte nur so von Widersprüchen. So ergab es zum Beispiel keinen Sinn, dass er auf dieses Dach kletterte, um eine Kamera zu installieren, obwohl zwei Etagen unter ihm ein Polizist saß, der den Tatort sicherte - und dazu noch ohne den Kollegen zu informieren. Was, wenn der ihn hier oben bemerkte?
Marino erinnerte sich daran, was ihm die Nachbarin über einen Zugang zum Dach erzählt hatte. Sie habe Wartungsarbeiter an der Satellitenschüssel beobachtet. Vielleicht war Morales ja gar nicht die Leiter hinaufgestiegen, sondern auf einem anderen Weg aufs Dach gelangt, einem einfacheren nämlich, und ein solches Arschloch, dass er Marino nichts davon verriet.
Kalter Stahl schnitt ihm schmerzhaft in die Hände, während er die Sprossen umfasste und sich langsam nach unten vorarbeitete. Er wusste erst, dass er angekommen war, als er festen Boden unter den Füßen spürte. Einen Moment lang lehnte er sich an die Backsteinmauer, um sich wieder zu beruhigen und Atem zu holen. Dann ging er zur Eingangstür, blieb unten an der Vortreppe stehen und hielt Ausschau nach Morales. Doch der war nicht zu sehen.
An seinem Schlüsselring hing eine kleine
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