Kay Scarpetta 16: Scarpetta
Konflikt“, dem er nur auf die Spur kommen würde, wenn er trocken bliebe.
Marino hatte, was die Herkunft dieses Konflikts anging, keine Zweifel. In diesem Moment war die Ursache eine verflucht schmale, an der Fassade eines Backsteingebäudes befestigte Leiter. Er hievte sich aufs Dach, sein Herz setzte einen Schlag aus, und er stöhnte überrascht auf, als er direkt in die Mündung einer Pistole blickte. Die Gestalt, die sie hielt, lag in der Position eines Scharfschützen auf dem Bauch. Im ersten Moment rührte sich keiner der beiden Männer.
Dann steckte Mike Morales die Pistole weg und setzte sich auf. »Du blödes Arschloch!«, zischte er zornig. »Was hast du hier zu suchen?«
»Dasselbe könnte ich dich fragen«, zischte Marino zurück. »Ich dachte, du wärst der verdammte Serienmörder.«
Auf dem Hintern rutschte er so schnell wie möglich weg von der Dachkante.
»Du kannst von Glück reden, dass ich dir nicht die Rübe weggepustet habe«, fügte er hinzu.
Er verstaute die Glock wieder in der Jackentasche.
»Wir haben doch gerade erst darüber gesprochen«, sagte Morales, »dass du nicht einfach in der Gegend rumlaufen sollst, ohne mir zu erzählen, was zum Teufel du vorhast. Ich werde dafür sorgen, dass dein Arsch auf der Straße landet. Berger schmeißt dich wahrscheinlich sowieso raus.«
Sein Gesicht war in der Dunkelheit kaum zu erkennen. Außerdem trug er dunkle, locker sitzende Kleidung, in der er aussah wie ein Obdachloser oder ein Drogendealer.
»Ich habe keine Ahnung, wie ich wieder hier runterkommen soll«, meinte Marino. »Weißt du, wie alt diese Leiter ist? Vermutlich hundert Jahre oder mehr. Damals waren die Leute nur halb so groß wie heute.«
»Was ist nur los mit dir? Wem willst du was beweisen? Denn im Moment finde ich, dass du beim Sicherheitsdienst eines dämlichen Einkaufszentrums besser aufgehoben wärst.«
Auf dem Dach aus Beton befanden sich die Steuerung der Klimaanlage und die Satellitenschüssel. Im Haus gegenüber, wo Marino heute bereits gewesen war, waren nur die Fenster der Nachbarin im ersten Stock beleuchtet. Die Vorhänge waren zugezogen. In der Straße hinter Terris Gebäude schienen mehr Menschen zu Hause zu sein, von denen sich zwei offenbar unbeobachtet fühlten. Ein älterer Mann tippte etwas in seinen Computer ein, offenbar nicht ahnend, dass ihm jemand dabei zuschaute. In der Etage unter ihm saß eine Frau in grünem Pyjama, ein schnurloses Telefon in der Hand, auf dem Wohnzimmersofa und redete wild gestikulierend.
Morales hielt Marino einen Vortrag, er habe die ganze Operation vermasselt.
»Das Einzige, was ich hier vermassle, ist deine Spanner-Tour«, gab Marino zurück.
»Ich habe es nicht nötig zu spannen, wenn ich etwas zu sehen kriegen will«, erwiderte Morales. »Was nicht heißt, dass ich im Falle des Falles nicht hingucken würde.«
Er wies auf die Satellitenschüssel, die in einem Winkel von etwa sechzig Grad in Richtung Texas ausgerichtet war. Offenbar befand sich irgendwo dort oben im Nachthimmel ein Satellit, den Marino sich nicht vorstellen konnte.
»Ich habe gerade eine drahtlose Kamera am Ständer installiert«, verkündete Morales. »Für den Fall, dass Oscar sich hier blicken lässt. Vielleicht versucht er ja, sich Zutritt zur Wohnung zu verschaffen. Du kennst doch den alten Spruch, dass der Täter immer zum Tatort zurückkehrt. Es könnte ja auch sonst jemand vorbeikommen. Ich bin für alles offen. Möglicherweise ist Oscar ja unschuldig. Aber ich wette, dass er es war. Auch, was die beiden anderen Morde angeht.«
Marino hatte keine Lust, ihm sein Telefonat mit Bacardi zu schildern. Selbst wenn er nicht oben auf einem Hausdach und darüber sehr unglücklich gewesen wäre, hätte er es nicht getan. »Weiß der Kollege, der die Wohnung sichert, was du hier oben treibst? «, fragte er.
»Natürlich nicht, verdammt. Und wenn du es ihm erzählst, wirst du rasch rauskriegen, wie weit es bis nach unten ist, weil ich dann nämlich deinen Arsch von diesem Dach schmeiße. Mit Kollegen, einschließlich mit dir, über eine Überwachung zu reden ist die beste Methode, die Sache in den Sand zu setzen.«
»Ist dir schon aufgefallen, dass der Streifenwagen vor dem Haus wie eine Werbeveranstaltung für das NYPD ist? Vielleicht solltest du ihn bitten, die Karre wegzufahren, wenn du hier oben auf den Mörder warten willst.«
»Das wird er schon noch tun. Es war ziemlich dämlich von ihm,
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