Kay Susan
ruhen, bis er sich entschloß, diesen Kontakt abzubrechen, das Symbol unserer schlichten, aber unfruchtbaren Freundschaft.
»Folgen Sie der Küstenlinie, und halten Sie sich im Unterholz. Der Weg ist gefährlich. Sie müssen sich vor Treibsand und zahllosen anderen Gefahren hüten. Aber wagen Sie nicht den Weg durchs Land. Schon morgen werden die Männer des Schahs alle bekannten Straßen überwachen, die aus dem Land führen.«
Er seufzte. »Und Sie, mein armer Narr, werden an meiner Stelle im Gefängnis sitzen und auf Ihre Hinrichtung warten. Glauben Sie wirklich, daß ich so wenig Mitgefühl habe, Sie einfach Ihrem Schicksal zu überlassen?«
»Sie brauchen nicht um mein Leben zu fürchten«, sagte ich. »Ich bin in Intrigen nicht ganz so unerfahren, wie Sie glauben, ich habe meine Pläne gemacht. Der Leichnam eines Babi-Dissidenten wird am Ufer des kaspischen Meers angetrieben werden, gekleidet in Ihren Umhang und Ihre Maske. Bis er gefunden wird, werden Aasfresser dafür gesorgt haben, daß er nur noch an den Kleidungsstücken zu identifizieren ist. Ich bin überzeugt, der Schah wird damit so zufrieden sein, daß er mich am Leben läßt. Und sollte wegen meiner Nachlässigkeit mein Besitz beschlagnahmt werden, gehe ich vielleicht nach Europa und lasse mich in einem Land nieder, wo sich Königinnen nicht mehr mit Folterkammern amüsieren.«
»Auch in Europa werden Sie essen müssen«, sagte er düster.
Er nahm eine Handvoll Edelsteine aus dem Beutel und hielt sie mir hin, nachdem er einen Augenblick gezögert und dann den großen Diamanten aus seiner Handfläche genommen hatte.
»Ich denke, ich sollte Ihr empfindliches Gewissen nicht damit belasten«, seufzte er. »Ich kann nicht behaupten, den Stein auf ehrliche Weise erworben zu haben. Aber den Rest können Sie ruhig nehmen, es ist nichts dabei, was Ihnen schlaflose Nächte bereiten müßte.«
»Erik«, protestierte ich, »das ist nicht . . . «
»Nehmen Sie«, sagte er scharf. »Ich habe Ihren ausgefallenen Bedingungen ja schon zugestimmt, nicht wahr? Also gestatten Sie mir wenigstens eine Geste gegenüber meinem Hüter . . . und Freund.«
Wir schwiegen beide, verblüfft über die rauhe Schlichtheit der beiden letzten Worte.
Er nahm Maske und Umhang ab und reichte sie mir. Plötzlich sah ich, daß Tränen in seinen ungleichen Augen standen.
»Passen Sie auf sich auf, Nadir«, sagte er leise, »passen Sie gut auf sich auf . . . «
Ich glaube, ich habe gelächelt, und plötzlich konnte ich nicht mehr sprechen.
Ich sah ihm nach, bis er nur noch ein Schatten im Sternenlicht war. Und dann sprach ich in den leeren Raum, der zwischen uns lag, in dem fehlerlosen Französisch, das er mir im Laufe unserer Verbindung so mühsam beigebracht hatte.
»Au revoir, mon ami«, sagte ich traurig.
Ich verstaute die Maske und den Umhang sorgfältig in einer Satteltasche, wandte mein Pferd in Richtung Sari und ritt davon.
ERIK
1856–81 Im Frühjahr 1856 kam ich in Belgien an.
1. Kapitel
Drei Jahre lang war ich wieder ziellos durch Europa gereist, hatte alte Orte und Verstecke aufgesucht wie ein seltsamer Pilger und mir alle möglichen Baudenkmäler angesehen, die ich während meiner jugendlichen Wanderjahre ausgelassen hatte. Im Morgengrauen pflegte ich auf den verlassenen Straßen zu zeichnen. Ehe die ersten Händler erschienen, um ihre Waren zu verkaufen, kehrte ich in meine jeweilige Unterkunft zurück. Und dort blieb ich, das Tageslicht meidend, bis die Sonne hinter dem Horizont versank und ich wieder hinaus auf die schlecht beleuchteten Straßen gehen konnte, ohne Aufmerksamkeit zu erregen.
Ich war nicht länger gezwungen, meine Talente zu verschleudern, um mich zu ernähren. Die Jahre in Persien hatten mich reich gemacht, reich genug, um meinen Interessen und meiner wachsenden Aversion gegen die menschliche Spezies zu frönen; es bestand nicht mehr die schlimme Notwendigkeit, gaffende Menschen mit der Geschicklichkeit meiner Finger und meinem monströsen Gesicht zu unterhalten.
Mein Geschmack am Tod, den die traurigen Exzesse in Persien schon stark abgestumpft hatten, war mir vergangen durch einen Eid, den ich nicht brechen konnte. Nadirs Stimme verfolgte mich durch ganz Asien und machte mich im Orient, wo politischer Meuchelmord billig und ein Leben nur zu schnell beendet ist, ruhelos und unbehaglich.
Ich hatte gelernt, meine düsteren und gewalttätigen Stimmungen zu beherrschen, zuerst mit Opium, später in Belgien mit Morphium. Ich gab die Opiumpfeife auf aus
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