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Kay Susan

Titel: Kay Susan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das Phantom
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gereizt. »Warum haben Sie nicht genommen, was Sie brauchen? Das Kind ist intelligent und verdient eine Ausbildung. Es müßte jetzt alt genug sein, um Lesen und Schreiben zu lernen. Sorgen Sie unverzüglich dafür!«
Verwirrt starrte er mich an.
»Ich . . . ich würde Sie niemals bestehlen«, stammelte er.
»Dann sind Sie ein Narr«, sagte ich langsam. »Sie haben eine nette Familie. Nehmen Sie, was immer Sie für ihr Wohlergehen brauchen, und niemand wird Ihnen Fragen stellen.«
Er schwieg einen Augenblick; sein langes, schmales, ziemlich ängstliches Gesicht wirkte verblüfft. Wieder schickte ich mich zum Gehen an, und wieder hielt er mich auf.
»Wohin gehen Sie?« fragte er mit einem plötzlichen Anflug von Furcht.
Ich starrte an ihm vorbei die dunkle Straße entlang.
»Ich gehe nach Boscherville«, sagte ich.
    Endlich stand ich vor dem Gartentor des alten Hauses, schaute, erinnerte mich. In meiner Phantasie hatte ich dieses Haus so oft niedergerissen, daß ich schockiert war, es noch vorzufinden.
    Wie konnte es wagen, dazustehen in all seinem anheimelnden, altmodischen Charme, und eine Familie beherbergen, die glücklich lebte, ohne etwas von der Qual zu ahnen, die ich hinter diesen efeubewachsenen Mauern erlitten hatte? Die Tränen, die ich in dem Schlafzimmer unter dem Dach vergossen hatte! Das einsame Entsetzen und die Furcht, für immer von der Welt ausgeschlossen zu sein. Ich haßte dieses Haus. Ich wünschte mir, das Haus und alle damit zusammenhängenden Erinnerungen vom Antlitz der Erde zu vertilgen.
    Ich wußte nun, warum ich nach Boscherville zurückgekommen war: Ich wollte dieses gräßliche Schandmal für immer aus der Landschaft der Normandie entfernen.
    Hinter einem der oberen Fenster brannte Licht, ein ärgerlicher Beweis friedlicher Behausung. Ich konnte nicht einfach Feuer an das Haus legen, ohne die unglücklichen Bewohner aus ihren Betten zu holen. Keine weiteren Morde, das hatte ich Nadir gelobt. Meine Hand schloß sich um ein Bündel von Tausend-Franc-Noten. Ich war bereit, großzügig zu zahlen. Mochten sie fortgehen und sich für den Rest ihres Lebens über den Verrückten wundern, der für das Privileg bezahlt hatte, ihr Haus bis auf die Grundmauern niederzubrennen.
    Ich band meine weiße Stute an einen Baum auf der anderen Straßenseite, nahm meine Pistole aus dem Umhang und klopfte dreimal an die Haustür. Ich wartete unter dem hölzernen Vordach, sicher in dem Wissen, daß man mich aus den darüberliegenden Schlafzimmerfenstern nicht sehen konnte. Jeder, der seine Neugier befriedigen wollte, war gezwungen, die Tür zu öffnen.
    Unter der Tür erschien plötzlich ein Lichtschein, und ich hörte das vertraute Geräusch des zurückgleitenden Riegels.
Das Licht einer Kerze fiel auf die Stufe, und ich erstarrte vor Schrecken, als ich sah, daß die Tür von einer Frau geöffnet wurde, die ich überall wiedererkannt hätte, trotz des Abgrundes der Jahre, die zwischen uns lagen.
Als sie mich mit weit aufgerissenen Augen anstarrte, eine Hand abwehrend an die Kehle gehoben, sah ich an ihrer entgeisterten Miene, daß auch sie mich erkannte.
»Heilige Muttergottes!« keuchte sie. »Erik!«
Es ist seltsam, wie tief vergrabene Kindheitsgewohnheiten in Augenblicken des Schocks wieder auftauchen. Ich ertappte mich dabei, daß ich automatisch eine kleine Verbeugung machte und mit kühler Formalität sagte, wie man es mir vor vielen Jahren beigebracht hatte:
»Guten Abend, Mademoiselle Perrault, ich hoffe, es geht Ihnen gut.«
Jetzt hielt sie beide Hände vor den Mund. Sie brach in Tränen aus, während sie mir heftig winkte, ich solle ihr ins Haus folgen.
Langsam und mit bleiernem Grauen ging ich in den Salon, doch das Zusammentreffen, das ich mehr als alles andere gefürchtet hatte, blieb mir erspart. Außer uns war niemand im Zimmer. Die Erleichterung war so ungeheuer und die Enttäuschung zugleich so schmerzhaft, daß ich mich in den Sessel am Kamin sinken ließ, weil ich mich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Ich umklammerte die hölzernen Armlehnen des Sessels und rang nach Fassung.
»Wo ist meine Mutter?« fragte ich.
Sie weinte noch heftiger.
»Sie müssen wissen, wo sie jetzt wohnt«, beharrte ich zitternd. »Sie brauchen keine Angst zu haben, ich werde nicht hingehen . . . , aber ich wüßte es gern.«
»Oh, Gott«, flüsterte sie, »ich dachte, Sie wüßten es. Ich dachte, das sei der Grund für Ihre Rückkehr. Erik . . . Ihre Mutter ist vor drei Tagen gestorben.«
Sie war hier in

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