Kay Susan
Anwesenheit des Schahs hatte lediglich den Charakter eines kurzen Inspektionsbesuches. Trotz seines luxuriösen Äußeren war der Bau in Wirklichkeit nur ein raffiniertes Jagdschloß, ein Spielpavillon, entworfen, um seinen königlichen Besitzer zu amüsieren und zu unterhalten. Von Anfang an hatte nicht die geringste Absicht bestanden, je den gesamten Hofstaat dort unterzubringen. Nur wenige Auserwählte würden jeweils eingeladen werden, den König der Könige in diesem Ort der Ausgeburt seiner Launen zu besuchen, und diejenigen, denen diese Ehre widerfahren würde, täten gut daran, in privatem Gespräch unbedachte Worte zu vermeiden. Erik hatte mich gewarnt, der Ort heiße nicht umsonst »Garten der Echos«.
Als der Schah unvermittelt an meiner Seite erschien, war ich so erschrocken, daß ich das Dossier fallenließ, das Einzelheiten über meine loyalen Aktivitäten während der vergangenen Monate enthielt. Er war durch keine der Türen eingetreten; diese hatte ich nämlich aufmerksam im Auge behalten. Mir kam es vor, als müsse er geradewegs durch die Wand hinter mir gegangen sein.
Nichts hätte ihn mehr entzücken können als meine sehr aufrichtige Verblüffung.
»Ah, Daroga!« sagte er mit der diebischen Freude eines Schuljungen, »ich sehe, daß ich Sie erschreckt habe. Eine amüsante kleine Vorrichtung, nicht wahr?«
»Höchst amüsant, kaiserliche Hoheit.«
Auf seine Geste hin erhob ich mich von den Knien und starrte verzweifelt auf meine Dokumente, die nun hoffnungslos in Unordnung waren. Ich wußte, daß der ganze Hof über Geheimgänge und Falltüren rätselte, die ausschließlich zum Gebrauch des Schahs bestimmt waren. Insgeheim betrachtete ich die ganze Sache als sehr kindisch, ein teuflisches Versteckspiel, das unweigerlich viele Tragödien auslösen würde. Es war eine traurige Vergeudung von Eriks Talent. Alles, was er sich wünschte, war, etwas Schönes zu bauen, doch in jeder Phase des Baus hatte er dem unersättlichen Verlangen seines Herrn nach Neuheit und Zerstreuung stattgeben müssen. Ich wußte, daß die Falltüren und Geheimgänge nicht zu Eriks ursprünglichem Entwurf gehörten; sein architektonisches Wunder war am Ende zu einem raffinierten Spielzeug verkommen, dazu bestimmt, einem bösen kleinen Jungen zu gefallen. Seine tatsächliche Schönheit war an den Schah völlig verschwendet.
»Wie gefällt Ihnen mein neues Lusthaus?« fuhr seine Majestät fort. »Würden Sie sagen, daß es in seiner Art einzig ist, wahrhaft einzig?«
Ich beeilte mich, ihm das zu versichern.
»Es kann auf der Welt keinen anderen Monarchen geben, der einen solchen Palast besitzt«, behauptete ich einfältig. »Ihr habt ein architektonisches Juwel und einen Diener, der in dieser Welt wirklich nicht seinesgleichen hat.«
Der Schah runzelte die Stirn und schnippte ein Steinstäubchen von seinem voluminösen Gewand.
»Da er mir gedient hat, könnte er auch anderen dienen. Wie man mir berichtet, hat sich sein Ruhm bereits bis nach Konstantinopel verbreitet, und der Sultan möchte ihn aus meinen Diensten locken.«
Ich spürte, wie eine böse Vorahnung meinen Mund trocken werden ließ.
»Ich bin sicher, daß Eure Hoheit solche bösen Gerüchte getrost ignorieren kann. Eriks Loyalität . . . «
Der Schah lachte kurz auf.
»Glauben Sie, ich sei dumm genug, an die Loyalität dieses Mannes zu glauben? Wie Sie sehr wohl wissen dürften, ist er niemandem Treue schuldig. Erik ist völlig frei von Skrupeln jeder Art. Einem solchen Mann kann man keine Staatsgeheimnisse anvertrauen.«
Der Schah wandte sich ab und begann rastlos im Raum auf und ab zu schreiten. Ich wagte nicht, ihm zu widersprechen, und nach einer Weile drehte er sich um und sah mich gedankenvoll an.
»Es erleichtert mich, daß Sie nicht zu seiner Verteidigung sprechen. Im letzten Jahr hat es Augenblicke gegeben, Daroga, da fürchtete ich, auch Ihre Loyalität sei nicht über jeden Verdacht erhaben.«
Ich warf mich ihm zu Füßen mit der vorgeschriebenen Geste der Selbsterniedrigung. Meine Stirn berührte die Spitze seines Reitstiefels.
»Stehen Sie auf, stehen Sie auf!« sagte er gereizt. »Ich habe jetzt das perfekte Mittel gefunden, mit dem Sie mir Ihre Loyalität beweisen können.«
Angstvoll hob ich den Kopf. Allah, was war das?
»Es interessiert Sie vielleicht, daß die Khanum vorschlägt, ich solle ihm die Augen ausstechen lassen.«
Ja, dachte ich, das ist eine passende Bestrafung für sein Verbrechen an ihr. Was nützen einem Mann die Augen, der sich
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