Kay Susan
gebieterisch. »Erik . . . es ist die einzige Möglichkeit«, fügte ich leise hinzu.
Er betrachtete den Strick so angstvoll und angewidert zugleich, daß ich darin düstere Schatten aus seiner Vergangenheit erkannte; als ich seine Handgelenke band, ballte er die Fäuste, als müsse er einen primitiven Widerstandstrieb unterdrücken. Nur das Vertrauen, das langsam zwischen uns gewachsen war, hielt ihn davon ab, auf mich loszugehen.
Schweigend verknotete ich den Strick. Als ich fertig war, ging ich zur Tür und rief meine Leute in den Raum.
»Durchsucht die Gemächer und stellt ein Inventar auf von allem, was ihr findet.« Ich wandte mich wieder Erik zu, der mit gesenktem Kopf dastand und zu Boden starrte. »Kommen Sie mit mir.«
Im Schein der aufgehenden Sonne ritten wir aus dem Palast. Ich führte Eriks Pferd am Zügel, und meine absichtlich klein gehaltene Eskorte ritt voraus, um im Gefängnis unsere bevorstehende Ankunft zu melden. Als das letzte Pferd außer Sicht war, beugte ich mich zu Erik hinüber, schnitt seine Fesseln durch und reichte ihm die beiden Lederbeutel, die ich unter meinen Kleidern versteckt hatte.
»Gehen Sie«, sagte ich. »Folgen Sie der Küstenstraße und verlassen Sie Persien, solange das noch möglich ist. Ich kann Ihnen nur ein paar Stunden Vorsprung geben, bevor die Leute des Schahs beginnen, nach Ihnen zu suchen.«
Er saß sehr still auf dem Pferd und starrte mich an.
»Wie werden Sie das erklären?«
Ich zuckte die Achseln. »Ich werde sagen, daß Sie Ihre magischen Fähigkeiten benutzt haben, um sich zu befreien, und mich überwältigt haben, als ich nicht darauf gefaßt war.«
»Man wird Sie bestrafen«, beharrte er ernst, »selbst wenn der Schah Ihre Geschichte glaubt. Und wenn er sie nicht glaubt . . . «
»Das ist meine Angelegenheit.«
»Warum tun Sie das?« fragte er plötzlich.
Ich wandte den Blick ab und schaute die leere Straße hinunter. »Mein Sohn hätte sich gewünscht, daß Sie am Leben bleiben. Alles, was ich heute nacht getan habe, habe ich zu seinem Gedenken getan.«
»Oh, Gott«, flüsterte er erschüttert, »Sie werden sich nie damit abfinden, nicht wahr? Sie werden nie verzeihen.«
Ich drehte mich im Sattel um und sah ihn direkt an.
»Es gibt nichts zu verzeihen«, sagte ich. »Sie haben ihm einen schönen, schmerzlosen Tod gegeben. Ich habe mich damit abgefunden, und meine Seele hat Frieden. Jetzt ist es Zeit, an Ihre Seele zu denken, Erik.«
Er machte eine ungeduldige Geste. »Ihr Glaube lehrt doch, daß Ungläubige keine Seele haben und keinen Platz im Paradies.«
»Aber Ihr Gewissen«, entgegnete ich. »Ich denke, Sie haben ein Gewissen, was immer Sie auch glauben wollen. Und heute nacht mache ich mich zum Hüter Ihres Gewissens. Wohin immer Sie gehen und was immer Sie in Zukunft tun, Sie müssen daran denken, daß Sie mir Rechenschaft schuldig sind. Das ist der Preis, den Sie für Ihr Leben zu bezahlen haben. Es darf keine willkürlichen Morde mehr geben.«
»Ach, wirklich«, schnaubte er. »Und was soll mich davon abhalten, diese lächerliche Abmachung zu brechen, wann immer es mir paßt?«
»Ich glaube nicht, daß Sie das Wort brechen, das Sie mir gegeben haben, Erik.«
»Wieso glauben Sie, ich würde Ihnen mein Wort geben, ganz zu schweigen davon, es zu halten? Töten ist wie Opium, Nadir, eine schlechte Angewohnheit, eine Sucht.«
»Jede Sucht kann überwunden werden, wenn der Wille besteht, sie zu besiegen«, sagte ich fest. »Außerdem lasse ich Ihnen keine Wahl: Dies ist ein Ultimatum. Wenn ich jetzt nicht von Ihnen höre, was ich hören will, dann werde ich Sie doch noch hinrichten lassen, darauf haben Sie mein Wort! Und denken Sie daran, meine Männer sind noch nicht so weit entfernt, daß sie einen Pistolenschuß nicht hören würden.«
»Was also soll ich schwören?« fragte er vorsichtig.
»Ich bin kein sentimentaler Narr«, seufzte ich. »Ich weiß, wie Ihr Leben war, und ich weiß, es wird unvermeidlich sein, daß Sie mitunter keine andere Wahl haben, zuerst zuzuschlagen, wenn Sie sich retten wollen. Aber es besteht ein großer Unterschied zwischen dem Töten zur Selbstverteidigung und dem Töten aus perverser Lust. Alles, was ich verlange, ist, daß Sie diesen Unterschied anerkennen und meiner Forderung treu bleiben. Und jetzt . . . geben Sie mir Ihr Wort?«
Er sagte nichts, doch nach einem Augenblick des Zögerns streckte er die Hand aus, und ich ergriff sie unverzüglich. Sein Händedruck war kühl und fest. Ich ließ meine Hand in seiner
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