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Kay Susan

Titel: Kay Susan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das Phantom
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erfüllten mich mit Enttäuschung. Ich sah sofort, daß die Pariser Oper häßlich und unoriginell werden würde, so gedrungen wie eine riesige Kröte, die man mitten in die öde Landschaft des neuen Paris gesetzt hatte. Besonders mißfiel mir die säulengeschmückte Loggia an der Front des Gebäudes. Der ganze Entwurf war vulgär, um nicht zu sagen gotteslästerlich. Und doch . . .
    Und doch war er grandios, geplant mit einem Maßstab von Ehrgeiz, der mich die Pläne wieder und wieder betrachten ließ. Er würde den Palast in Mazenderan in den Schatten stellen mit seinem drei Morgen großen Areal, mit seiner Höhe von siebzehn Stockwerken und seinen fünf Kellergeschossen. Dieses Gebäude mit seinen feuerfesten Tragbalken und der modernen Technik war zukunftsweisend und ein gewaltiger Kraftakt der Ingenieurskunst. Da es den Anschein hatte, als müsse Garniers Geisteskind nun einmal zur Welt kommen, hatte ich die Absicht, seiner Geburt beizuwohnen, die sich unweigerlich als schwierig und langwierig erweisen würde. Im Inneren würde der Bau schön sein mit der prachtvollen großen Treppe, den marmorverkleideten Säulen, den verspiegelten Foyers und blitzenden Lüstern.
    Als ich den Kostenvoranschlag für die Steinarbeiten fertiggestellt hatte, schrieb ich direkt an Garnier. Inzwischen wußte ich eine Menge über ihn. Er war in der berüchtigten Rue Mouffetard geboren, einem der schlimmsten Elendsviertel von Paris. Er war der Sohn eines ehrgeizigen Schmiedes, und dem vorbestimmten Platz in der Werkstatt seines Vaters war er nur entkommen, weil er sich als körperlich unfähig erwiesen hatte, die riesigen Blasebälge zu bedienen. Der zarte, nervöse, begabte junge Mann hatte sich durch seinen rastlosen Fleiß und seine Entschlossenheit den Weg in die Mittelklasse gebahnt und wohnte nun mit seiner Frau auf dem Boulevard St. Germain. Er war reizbar und exzentrisch und besaß die Vorstellungskraft eines wirklichen Genies. Ich wußte, daß er mich empfangen würde; das war das mindeste.
    Kein echter Künstler hätte der schmeichelhaften Provokation widerstehen können, die mit meinem unerhörten Vorschlag verbunden war.
    Garnier wies auf einen Stuhl auf der anderen Seite seines unordentlichen Schreibtischs und schraubte auf meine Bitte die Gaslampe herunter. Wenn ihn die Maske überraschte, so ließ er sich das jedenfalls nicht anmerken, als er sich zurücklehnte, die Fingerspitzen aneinander gepreßt, und mich in dem schwachen Licht ruhig betrachtete.
    »Lassen Sie mich eines von Anfang an klarstellen, Monsieur«, sagte er mit einer Aggressivität, die mich amüsierte. »Ich habe Sie heute abend aus reiner Neugier zu mir gebeten. Ihre Vorschläge sind so überaus unorthodox, daß ich gestehen muß, ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, den Urheber einer so kolossalen Impertinenz kennenzulernen. Darf ich fragen, was Sie zu der Annahme veranlaßt, ich sei bestechlich?«
    Achtlos zuckte ich die Schultern.
»Jeder Mann hat seinen Preis. Sie sind, wenn ich das sagen darf, ohne Sie zu kränken, relativ unbekannt auf Ihrem Gebiet, und die Regierung hat diese Tatsache bei Ihrem Honorar natürlich ausgenützt.«
Abrupt richtete er sich auf seinem Stuhl auf.
»Und was bedeutet das?« forderte er mich leise heraus.
»Das bedeutet, daß der Architekt eines öffentlichen Bauwerks gewöhnlich drei Prozent der Bausumme als Honorar erhält. Wie ich höre, hat man Ihr Honorar aber auf zwei Prozent festgesetzt. Warum sollten Sie sich einer Regierung moralisch verpflichtet fühlen, die von Anfang an die Absicht hat, Sie zu übervorteilen? Und Sie müssen wissen, daß das unweigerlich geschehen wird. Jedesmal, wenn Sie Ihr Budget überschreiten, wird man Ihnen vorwerfen, Sie trieben die Kosten künstlich in die Höhe, um Ihr Honorar zu steigern. Natürlich wird es Ihnen gut gehen . . . sehr viel besser als bisher mit Ihren achttausend Francs im Jahr als städtischer Architekt. Aber Sie dürfen versichert sein, Monsieur, daß die Regierung mitnichten die Absicht hat, Sie für die Arbeit eines ganzen Lebens zum Millionär zu machen. Und bis der Bau vollendet ist, werden Sie ein alter Mann sein.«
Plötzlich lachte er auf.
»Ich bin erst sechsunddreißig, mein Freund. Was glauben Sie, wie lange es dauert, bis ich diese Arbeit fertiggestellt habe? Und wenn es zehn Jahre dauert, was Gott verhüten möge, bin ich dann doch wohl noch nicht senil.«
Ich lächelte unsichtbar hinter meiner Maske.
»Wenn Sie in zehn Jahren fertig werden . . .

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