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Kay Susan

Titel: Kay Susan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das Phantom
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diese Zeichnungen wiedererkennen«, sagte er.
Ungläubig starrte ich auf die Papiere.
»Wie sind Sie daran gekommen?« fragte ich erregt. »Wie?«
Einen Augenblick lang antwortete er nicht. Ich sah zu, wie er den Raum durchquerte und mit zwei Gläsern Cognac zurückkehrte. Er gab mir eines, setzte sich auf die Kante des Schreibtischs und nahm einen Schluck. Seine eigenartigen Gesichtszüge verrieten unterdrückte Erregung.
»Ich hatte einen Lehrer an der Kunstschule . . . «, begann er im Ton einer Konversation, »einen älteren, ziemlich exzentrischen Herrn, der sich für vielversprechende Studenten interessierte. Er war ein gutmütiger alter Bursche, auf seine Art sehr interessant, hatte einen Vorrat an guten Geschichten, wenn man die Geduld besaß, seine Abschweifungen zu ertragen. Bevor er starb, vertraute er mir diese Papiere an und bat mich, sie sicher zu verwahren. Er sagte mir, wenn ich je das Glück haben sollte, den Mann zu treffen, der die Zeichnungen gemacht hatte, hätte ich die Ehre, den größten Architekten der Weltgeschichte kennenzulernen. Ich hielt das immer für eine nette Fabel, die Phantasie eines alten Mannes. Wie alt waren Sie, als Sie diese Gebäude entwarfen, Erik . . . sieben . . . acht?«
Ich ließ die Papiere in meinen Schoß fallen. Für einen Moment sah ich nichts als meinen fröhlichen, prahlerischen, eigensinnigen Lehrer. Seine Besuche waren das Licht meiner Kindheit gewesen; stundenlang hatte ich damals an meinem Dachfenster gestanden und darauf gewartet, daß seine Kutsche erschien, die mich in wilder Erregung die Treppe hinunter und an die Haustür hasten ließ.
»Was hat er Ihnen außer meinem Namen noch gesagt?« murmelte ich schließlich.
»Genug, damit ich verstehe, warum Sie diese Maske tragen«, sagte Garnier langsam und mit dem Aussehen eines Menschen, der seine Worte jetzt sorgfältig wählt. »Genug, damit ich dankbar bin, daß Sie sich nie am Wettbewerb des Ministeriums beteiligt haben.«
Unwillig sah ich zu ihm auf.
»Was macht Sie so sicher, daß ich mich nicht beteiligt habe?«
Er breitete die Hände aus zu einer Geste, die ich später als raren Ausdruck von Bescheidenheit erkannte.
»Wenn Sie es getan hätten«, sagte er schlicht, »würde ich noch immer diese elenden achttausend Francs im Jahr verdienen.«
4. Kapitel
    Es war zu spät, um noch den Auftrag für die Ausschachtungsarbeiten zu bekommen, doch Garnier sorgte auf verstohlenen Wegen dafür, daß ich trotzdem auf der Baustelle anwesend sein konnte.
    Er hatte mir eine Stellung in der neuen Agence angeboten, die mir Gelegenheit gegeben hätte, an den endgültigen Entwürfen mitzuarbeiten, aber nach einigen Nächten quälender Unentschlossenheit zwang mich die Vernunft, das Angebot abzulehnen. In einem Zeichenbüro eingesperrt zu sein, umgeben von neunzehn wohlerzogenen jungen Männern, von denen die meisten an der Kunstakademie studiert hatten, war eine Prüfung, zu der mir einfach der Mut fehlte. Außerdem wußte ich, sobald ich diese Entwürfe in die Hand bekäme, würde ich unweigerlich für Reibereien und Mißmut sorgen. Ich würde nicht den Mund halten können, und die Folge meiner Ausbrüche würden unvorhersehbare Reaktionen sein. Es war besser, sich der Versuchung fernzuhalten, als meinem Traum durch mein aufbrausendes Temperament ein Ende zu setzen. Garnier drängte mich nicht, vielleicht hatte er mich verstanden.
    Ich weiß nicht, was er dem Mann sagte, der die Ausschachtungsarbeiten durchführte, aber dieser behandelte mich immer mit wachsamem Respekt, als glaube er, meine Allgegenwart auf der Baustelle habe einen besonderen Grund. Ob er mich für einen inspecteur, einen sous-inspecteur oder einen dessinateur hielt, wurde nie ganz klar, aber er hatte niemals Einwände gegen meine Vorschläge und achtete stets darauf, mich mit Monsieur anzureden.
    Da war ich also, als die Dinge begannen, eine schlimme Wendung zu nehmen.
Bei den Ausschachtungen für die cuve, den Bauteil unter der Bühne, der zwölf Meter tief reichte, stieß man auf Wasser.
»Was zum Teufel ist das?« murmelte Garnier.
Meine dringende Nachricht hatte ihn zur Baustelle eilen lassen, und nun starrte er mit unverhülltem Entsetzen in die abrutschenden Fundamente; sein Hemd und sein Kragen paßten nicht zusammen, was bewies, wie hastig er sich angekleidet hatte.
»Ein unterirdischer Nebenarm der Seine, dem Aussehen nach«, sagte ich düster. »Ich würde sagen, er durchzieht den ganzen Bereich. Sie können nichts tun, solange der

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