Kay Susan
Wasserspiegel nicht abgesenkt worden ist.«
Garnier stieß eine vielsagende Verwünschung aus, die hier wiederzugeben mir der Anstand verbietet.
»Haben Sie eine Ahnung, was das heißt?« sagte er wütend.
»Ich fürchte, ich weiß genau, was das heißt.«
Ich zog ein Papier aus dem Ärmel und reichte es ihm. Er studierte es eine Weile und blickte dann ungläubig auf.
»Sie schlagen wirklich vor, daß ich unter der Bühne einen künstlichen See anlegen soll?«
»Es bleibt Ihnen kaum etwas anderes übrig«, erklärte ich geduldig. »Während der Bauarbeiten können Sie das Wasser wie beschrieben mit den Dampfpumpen absaugen, aber diese doppelte Wanne ist das einzige Mittel, das Fließen des Wassers zu kontrollieren und die Fundamente dauerhaft vor Erosion zu schützen. Natürlich werden Sie sie mit Bitumen versiegeln müssen, damit sie dem Sickerwasser widerstehen, aber das dürfte kein Problem darstellen.«
»Und die Kosten?« sagte er vorsichtig.
Ich zuckte die Achseln. »Sagen Sie mir, wieviel Sie vermutlich aus dem Ministerium herausholen können. Ich sorge dann für das, was fehlt.«
»Sie müssen völlig verrückt sein«, seufzte er.
Ich widersprach nicht, sondern breitete mit einer stoischen Geste die Hände aus.
»Mein einziges Anliegen ist, daß die Arbeit ohne Verzögerung vorangeht. Ich kann keinen Stein setzen, bevor diese Ausschachtungen beendet sind. Und ich bin von Natur aus kein geduldiger Mensch, das werden Sie noch merken.«
Er faltete das Papier zusammen und schob es sorgfältig in die Tasche seines Überziehers.
»Ihnen steht nie etwas lange im Wege, nicht wahr?« murmelte er, mich nachdenklich über die Schulter hinweg ansehend. »Warum habe ich das seltsame Gefühl, daß es sich als sehr gesundheitsschädlich erweisen könnte, wenn man sich Ihren Wünschen widersetzt?«
Ich lächelte schwach.
»Ich würde nie einem Mann raten, seine innersten Instinkte zu mißachten, Garnier.«
»Das hört sich sehr nach einer Drohung an«, sagte er stirnrunzelnd.
»Mit Drohungen halte ich mich selten auf«, erwiderte ich ruhig.
Ehe er darauf antworten konnte, ging ich durch die schlammige Baustelle davon, um ihm zu bedeuten, daß unser Gespräch beendet war.
Acht riesige Dampfpumpen arbeiteten acht Monate lang Tag und Nacht, um den nassen Untergrund zu drainieren, und das unablässige Stampfen machte die Pariser verrückt. Ich hatte ein gewisses grimmiges Mitgefühl mit ihrem Unbehagen, denn ich litt genau wie alle anderen unter dem rhythmischen Pochen, das noch in meinem Kopf widerhallte, wenn ich die Baustelle abends schon lange verlassen hatte. Natürlich brauchte ich mich nicht dort aufzuhalten – dies war nicht mein Auftrag –, aber ich konnte einfach nicht fernbleiben.
Im Januar 1862 wurden die Betonfundamente gegossen, und sobald der erste Abschnitt fertiggestellt war, begann ich meine Arbeit am steinernen Unterbau.
An diesem Punkt hörte die Außenwelt auf, für mich zu existieren; Zeit hatte keine Bedeutung mehr. Nur vage nahm ich Garniers Prüfungen wahr, seinen bitteren und langwierigen Kampf mit der Regierung gegen Einsparungsforderungen. Jedes Mal, wenn ich ihn sah, wirkte er blasser und gehetzter. Ich lauschte seinen wütenden Klagen mit zurückhaltender Sympathie und hütete mich wohl, mich in dieses Gebiet einzumischen. Gott allein weiß, wieso es nicht irgendwann in diesen ersten neun Jahren zu Blutvergießen kam. Neun Jahre.
Ist es wirklich möglich, neun Jahre verstreichen zu lassen, fast
ohne den Wechsel der Jahreszeiten zu bemerken? Ich war noch nie so vollkommen absorbiert gewesen, immun gegen alle Enttäuschungen. Auf einer Baustelle dieser Größe konnte man das Zusammentreffen mit anderen Bauleuten weitgehend vermeiden, aber ich hatte schon die Vorsichtsmaßnahme ergriffen, mir tief in den Gewölben der Fundamente einen geheimen Platz zu schaffen. Eine Vorrichtung in der doppelten Wand unter der Bühne bot mir einen dunklen, abgeschiedenen Ort, an den ich mich immer dann zurückziehen konnte, wenn Faulheit, Korruption oder reine Dummheit mich bis zur Weißglut reizten. Er leistete mir bei vielen Gelegenheiten gute Dienste. In den ganzen neun Jahren ist nicht ein einziger Arbeiter durch meine Hand ums Leben gekommen, und ich begann mich zu fragen, ob ich den Drang zu töten endlich besiegt hatte.
Ich trieb meine Männer hart an, hart genug, denke ich, um mehr als einmal einen Dolch in den Rücken verdient zu haben. Daß sie die höchsten Löhne auf der Baustelle erhielten, war
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