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Kay Susan

Titel: Kay Susan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das Phantom
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eingesalzenes Pferdefleisch waren in der Oper gelagert, und noch waren die Vorräte nicht ganz erschöpft. Ich konnte mich nicht überwinden, Pferdefleisch zu verzehren, aber für Ayesha stahl ich es, und während sie fraß, verließ ich den Raum, um meinen Ekel zu bezähmen. Es gab zahllose Ratten in den Kellern, und binnen weniger Wochen hatte sie ihre Magerkeit verloren und sah rund, glänzend und zufrieden aus. Sie folgte mir durch das geheime Haus und saß neben mir, wenn ich arbeitete. Ich konnte den Tag nicht erwarten, an dem sie groß genug sein würde, das persische Halsband zu tragen. Es würde ein unvorstellbares Vergnügen sein, sie in seiner gestohlenen Pracht zu sehen. Sie war meine Unterhaltung, meine Freude, die erwählte Gefährtin meiner Einsamkeit. Nach neunzehn Wochen der Belagerung kapitulierte die umzingelte Regierung. Angstvolle Stille legte sich wie ein Grabtuch über die Stadt. Die deutschen Truppen marschierten über die ChampsElysées, und kurz darauf wurden die Armen, die die Hauptlast der Entbehrungen getragen hatten, von einem reaktionären Nationalrat dazu verurteilt, alle Schulden, die während der Dauer der Belagerung ausgesetzt gewesen waren, binnen achtundvierzig Stunden zu bezahlen. In den Bankrott gestürzt und angestachelt durch das sofortige Verbot von sechs Zeitungen, erhoben sich die niederen Klassen in einem Sturm von Wut, und eine neue Revolution erschütterte die Stadt. Die Regierung floh nach Versailles, und die Pariser Kommune wurde ausgerufen. Die wahren Schrecken begannen, als der kreischende Mob die Straßen übernahm.
Der zerstörerische Wahnsinn blieb nicht auf das linke Seineufer beschränkt. Die Oper wurde von der Nationalgarde besetzt, und die rote Flagge der Kommune, die jetzt auf dem Dach wehte, machte den Bau zur Zielscheibe für die republikanischen Kräfte. Weitere Bombardierungen suchten die bereits zerschmetterte Stadt heim, doch nun handelte es sich um französische Granaten, die Granaten des Bürgerkriegs. Überall in dem verbarrikadierten Opernhaus waren Soldaten, und draußen auf den Straßen tobten heftige Kämpfe. Ich war zum Gefangenen im eigenen Haus geworden, stand regelrecht unter Hausarrest, denn ich wußte, wenn ich mich zeigte, würde ich auf der Stelle als Spion erschossen.
In den Kellern erschienen die Bürgergeneräle mit ihren Pistolen und ihren lächerlichen roten Schärpen, ihre Zigaretten glühten in der Dunkelheit wie winzige Kohlestücke, wenn sie die Einkerkerung politischer Gefangener überwachten. Die totale Stille wurde von ihren groben Flüchen und ihrem rauhen Gelächter durchbrochen. Ich haßte diese grausamen Eindringlinge, die ihre Opfer hinunter in den Kommunardenkerker unter dem fünften Kellergeschoß führten. Ich haßte sie alle, die Nationalgardisten ebenso wie die Republikaner. Narren waren sie, unwissende Narren. Wie konnten sie es wagen, mein Heiligtum mit ihrem schmutzigen Krieg zu schänden. Wie konnten sie es wagen, mich auf diese Weise einzusperren.
Es dauerte fünf Wochen, aber mir kam es wie fünf Jahre vor, bis die Kommunarden den Republikanern unterlagen, und zwar in einem wilden Gefecht aus höllischen Flammen, mit massakrierten Geiseln und brennenden Staatsmonumenten. Als sie ihre Stellungen aufgaben, hinterließen sie das Hôtel de Ville und die Tuilerien als schwarze, rauchende Ruinen. Wieder einmal brannten die Straßen von Paris.
Da die Oper als Feldlazarett für die Truppen der Kommune gedient hatte, war sie den unablässigen Brandstiftungen bisher entgangen. Eines Abends jedoch, auf dem Höhepunkt der Krise, trieb mich eine schreckliche Ahnung von Unheil aus dem Haus am See. Ich kümmerte mich nicht darum, ob ich entdeckt würde, und durchkämmte die Gewölbe wie ein wahnsinnig gewordener Bluthund, bis ich im dritten Keller einen Nationalgardisten fand, der Zündschnüre legte, die mit einem Dutzend Fässern Schießpulver verbunden werden sollten.
»Handeln Sie auf Befehl Ihres kommandierenden Offiziers?« fragte ich mit steinerner Miene.
Der Mann fuhr erschrocken herum, zog seine Pistole und zielte auf mich.
»Handeln Sie auf Befehl?« wiederholte ich mit finsterer Beharrlichkeit. »Hat man Ihnen den Befehl dazu gegeben?«
»Nein«, sagte er plötzlich lachend. Seine Augen waren weit aufgerissen und starrten mit einer blinden Lust, die ich sofort erkannte. »Die Generäle haben diesen Ort vergessen, aber ich nicht, ich nicht! Ich werde diesen schmutzigen Tempel der Reichen vom Angesicht der Erde

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