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Kay Susan

Titel: Kay Susan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das Phantom
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bedrohte.
    Alle Zärtlichkeit und aller Haß, die der grundlegendste Instinkt des Menschen je erzeugt hatte, waren zwischen den Notenlinien dieses Manuskripts eingefangen.
    Und doch reichte es nicht aus, um mir die letzte Erlösung zu gewähren, die mich vergessen, ausruhen lassen würde.
Heute abend ging ich zum Spiegel zurück und wartete auf sie, gewappnet gegen die Realität, plötzlich mit einer Wahrheit konfrontiert, die ich mein ganzes Leben lang geleugnet hatte.
Ich war nicht getrennt vom Rest der Menschheit, nicht durch meine Mißbildung hermetisch vor ihrem leidenschaftlichsten und verräterischsten Gefühl ausgeschlossen. Ich war kein kalter, zufriedener Genius mehr, nicht einmal mehr ein Geist.
Ich war nur ein Mann. Nur ein sehr verzweifelter Mann, endlich bereit, den größten Diebstahl zu begehen.
    Als ich heute abend von der Bühne kam, war ich niedergedrückt. Es widerstrebte mir, das Theater zu verlassen und in jenen unwillkommenen Zustand einzutreten, der in unserem Beruf euphemistisch als »Ruhe« bekannt ist. Eine einsame Wohnung und ein gähnendes Dienstmädchen waren alles, was mich jetzt erwartete, und die Aussicht auf die stillen Wochen, die vor mir lagen, erfüllte mich mit wachsender Verzagtheit.
    Doch kaum hatte ich meine Garderobe betreten, wurde mir bewußt, daß die Luft ringsum knisterte, als sei sie elektrisch geladen. Und plötzlich erfüllte mich ein machtvolles Vorgefühl von Freude.
    Er ist hier, ich bin dessen ganz sicher. Trotz seines Zorns, trotz seines Schweigens weiß ich, daß er mir verziehen hat. Und diese Verzeihung kann nur eines bedeuten.
    Sterblich, unsterblich, das spielt keine Rolle mehr, denn Liebe überwindet alle Schranken, und ich bin jetzt zuversichtlich, daß er ihrem unausweichlichen Zugriff ebenso hilflos ausgeliefert ist wie ich.
    Heute nacht werde ich ihn bitten, mich mitzunehmen, fort aus dieser Welt, zu der ich nicht gehöre, die so voll ist mit lästernden Fremden. Heute nacht bin ich bereit, die Erde und alles, was darauf ist, aufzugeben für die geliebte Gegenwart meines Hüters. Der Tod ist ein Preis, den ich nicht mehr in Frage stelle oder zu entrichten fürchte. Diese letzte Woche hat ausgereicht, um mir zu zeigen, daß es ohne ihn für mich einfach kein Leben mehr gibt.
Nun kann ich nichts mehr tun, als meine Feder niederzulegen und zu warten.
4. Kapitel
    Musik und das rasche Drehen eines Spiegels um seine Angel gestatteten mir, ihre Hand zu nehmen und sie durch die labyrinthischen Gänge zu dem See zu ziehen, der unsere beiden Welten trennte. Eingelullt durch meine Stimme, blind und sklavisch gehorsam, kam sie mit, voll wortloser Freude folgte sie mir, bis wir schließlich im Haus jenseits des Sees standen.
    Nun war es an der Zeit, innezuhalten und ihr durch Schweigen meine böse Täuschung zu verraten, aber meine Stimme war trunken von ihrer eigenen Macht und wollte den Traum noch nicht enden lassen. Ich wiegte sie auf den süßen Wogen meiner Musik, bis sie in meiner Umarmung einschlief. Dann hielt ich sie für eine lange Minute nur fest, kostete das Gewicht ihres Körpers in meinen Armen und den leichten Druck ihres Kopfes an meiner Schulter aus.
    Ich wollte sie für alle Ewigkeit so halten, doch mit dem Vergehen der Zeit wurde ihr leichtes Gewicht zu einer unerträglichen, bleiernen Bürde. Nach einer Weile trug ich sie in das zweite Schlafzimmer und legte sie auf das Bett meiner Mutter.
    Als ich dastand und auf sie niedersah, war ich überwältigt von meinem verrückten Impuls. Warum hatte ich sie hergebracht? Ich konnte sie nicht für den Rest ihres Lebens in einem Trancezustand halten. Ich wollte keine hirnlose, mechanische Puppe, keinen willenlosen Automaten.
    Ich wollte Christine, die ganze Christine. Und ich konnte sie nicht haben.
Ich ging in mein Zimmer und versuchte, mich mit den kleinen Ritualen zu beschäftigen, die uns allen weismachen, das Leben werde normal weitergehen. Ich kleidete mich um, tauschte meinen Abendanzug gegen einen langen Kimono aus schwarzer Seide mit Satinaufschlägen und setzte mich an die Orgel, um das Manuskript von Der Triumph des Don Juan anzustarren.
Der Triumph des Don Juan! Was für eine bittere Ironie war diese Oper; welche Verfeinerung der Selbsttäuschung. Und doch, was für eine unglaubliche Musik sie enthielt. Sie war bei weitem das Beste, was ich je komponiert hatte.
Ich schaute auf den zuletzt vollendeten Teil und blätterte eilig die Seiten um. Nicht das, nicht heute nacht. Ich wagte nicht, es zu

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