Kay Susan
behauptete ich fest. »Es ist ein persischer Katzenkorb. Der Schah hatte so einen . . . für die kaiserlichen Katzen. Die hohen Seiten halten die Zugluft fern, verstehst du. Katzen mögen keine Zugluft. Magst du Katzen, Christine?«
»Es sieht aus wie ein Sarg«, beharrte sie mit der ganzen Hartnäckigkeit der Geistesschwachen.
»Du mußt lernen, nicht alles nach dem Aussehen zu beurteilen«, seufzte ich. »Es gibt nichts in diesem Raum, wovor du dich fürchten müßtest, Kind . . . überhaupt nichts. Glaubst du mir?«
Sie wandte sich zu mir um und nickte langsam.
»Es ist nicht wirklich ein persischer Katzenkorb, oder?« sagte sie nach einer Weile.
»Nein, aber schließlich ist es nur eine hölzerne Kiste, nicht wahr? Für eine Fliege wäre es ein Palast, ein schöner, mit Seide ausgeschlagener Palast. Kannst du dir vorstellen, wie groß die Welt einer Fliege vorkommen muß?«
Sie lachte und legte dann die Hand vor den Mund, als könne sie nicht recht glauben, daß dieser Ton von ihren Lippen gekommen war.
»Hab keine Angst, hier in meinem Haus zu lachen, Christine. Dein Vater brachte dich immer zum Lachen, nicht?«
»Mein Vater ist tot«, sagte sie leise. »Aber . . . ja, er hat mir auch immer alberne Geschichten erzählt, vor allem, wenn ich Angst hatte.«
Sie kam näher zu meiner Couch und schaute fest auf mich herab. Ayesha an meiner Seite bewegte sich aggressiv, aber der Druck meiner Hand hielt sie still.
»Du bist sehr krank, nicht wahr?« sagte Christine traurig. »Was soll ich tun, wenn du stirbst?«
Ich schloß für einen Moment die Augen.
»Was soll ich tun, wenn du stirbst?« wiederholte sie; wieder hob sich ihre Stimme und verriet wachsende Angst.
Ich öffnete die Augen und lächelte sie ruhig an.
»Ich denke, du würdest mich schließlich in den Katzenkorb legen müssen«, sagte ich. »Aber vorerst wäre ich dir viel dankbarer, wenn du einfach hingehen und Tee kochen würdest.«
Es gibt keinen Engel der Musik. Es gibt nur Erik!
Hier in seinem Haus am See, fünf Stockwerke unter der Erdoberfläche, bin ich eine Gefangene, nicht durch Schloß und Riegel, sondern durch verzehrendes Mitleid und eigenartige Faszination.
Sein Gesicht! Guter Gott! Ob ich je den Augenblick vergessen werde, als er sich mir umwandte, den schrecklichen Kummer und die Wut, die ihn beinahe das Leben kosteten?
Was kann ich über dieses Gesicht sagen? Es ändert alles, und doch ändert es nichts. Ich kann diesen Widerspruch nicht erklären; es ist mir unmöglich, Abstand zu gewinnen und ein klares, rationales Urteil zu fällen. Dies ist eine völlig andere Welt als die, in der ich normalerweise existiere. Hier gibt es keine Urteile. Nur Gefühle.
Auf merkwürdige Weise hat uns seine Krankheit vor dem Untergang bewahrt, hat einen Übergang von der Phantasie zur Realität vermittelt, der mir noch vor zwei Tagen unvorstellbar gewesen wäre. Auf viele Arten scheint es mir jetzt die natürlichste Sache der Welt, hier bei ihm zu sein, an ihn als Erik zu denken und nicht als namenlosen, gesichtslosen Engel. Er ist so real! Keine Vision oder Illusion mehr, sondern jemand, nach dem ich die Arme ausstrecken und den ich umarmen könnte, wenn ich es nur wagte. Irgendwie ist es trotz des Schocks der Entdeckung eine ungeheure Erleichterung, etwas so völlig Normales tun zu können wie ein Getränk zu bereiten.
Meine Existenz hier ist merkwürdig behaglich. In meinem Zimmer habe ich alles gefunden, was ich brauche, einen ganzen Schrank voller Kleider, Schuhe und Umhänge, sogar einen kleinen Schreibtisch mit einem reichen Vorrat an kostbarem Schreibpapier. Tränen treten mir in die Augen, wenn ich an die Anstrengungen und Überlegungen denke, die er offensichtlich unternommen hat, um alles für mein Wohlbefinden vorzubereiten. Ich habe ein höchst merkwürdiges Gefühl des Heimkommens, das Gefühl, plötzlich an einen Ort zu gehören. Und doch, wann immer ich mich erinnere, was hinter der Maske ist, denke ich mit plötzlicher, beschämter Sehnsucht an Raoul. Der Vergleich ist ganz unausweichlich und der Gegensatz so grausam, fast unerträglich, daß es aussieht, als könnte ich meine geistige Gesundheit nur bewahren, wenn ich erst gar nicht an Raoul denke.
Ich weiß, dieser Zustand kann nicht unbegrenzt andauern, und doch will ich nicht, daß er aufhört. Ich will nicht an die Oberwelt denken, mich all den Konflikten und schrecklichen Entscheidungen stellen, die am Ende unvermeidlich sein werden.
Ich möchte einfach hier bei Erik bleiben
Weitere Kostenlose Bücher