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Kay Susan

Titel: Kay Susan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das Phantom
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Unsere Trennung ist so endgültig wie der Tod.
    Er wird nie zurückkommen.
Ich habe ihn verloren, wie ich meinen Vater verloren habe. Aber diesmal ist es mein Fehler, ich habe alles selbst verschuldet. Ich habe mit eigener Hand alles zerstört, und es gibt keine Worte, um meine Trauer über diesen Verlust auszudrücken.
In der Tiefe meiner Verzweiflung habe ich mein Geheimnis schließlich Raoul anvertraut, habe mir eingeredet, er sei der einzige Mensch auf der Welt, der mich verstehen würde. Vor zehn Jahren glaubten wir beide an Engel, Geister und Dämonen. Tapfer saßen wir allein in einem dunklen Zimmer, erzählten uns Schauergeschichten und klammerten uns in köstlicher Angst aneinander. Zu zweit standen wir gegen die Welt der Erwachsenen, teilten unsere kindlichen Träume und vertrauten uns die törichsten Dinge an, ohne Furcht, ausgelacht zu werden.
Auch jetzt lachte Raoul mich nicht aus, aber noch bevor ich zu Ende gesprochen hatte, wußte ich, daß ich einen schrecklichen Fehler begangen hatte. An der leichten Versteifung der Arme, die mich hielten, spürte ich den Unglauben, eine instinktive Reaktion des gesunden Menschenverstandes, die mir deutlicher als alle Worte verrieten, daß Raoul erwachsen geworden war und ich ganz allein an irgendeinem einsamen, nicht existierenden Meeresufer spielte.
Er schaute überaus besorgt drein, ließ mich niedersitzen und stellte mir viele Fragen, die mir deutlich zeigten, was er dachte. Ob ich Kopfschmerzen und Schwindelanfälle hätte? War ich bei einem Arzt gewesen? Vielleicht arbeitete ich zuviel; vielleicht sollte ich einen Spezialisten aufsuchen.
»Was für einen Spezialisten?« fragte ich kühl. »Einen Arzt für meinen Kopf?«
Er sah schrecklich verlegen aus, als er niederkniete und meine Hände in seine nahm.
»Leg mir keine Worte in den Mund«, sagte er. »Ich meine ja nur, daß du vielleicht daran denken solltest, die Bühne für eine Weile zu verlassen und dich richtig auszuruhen.«
»Du denkst, man sollte mich einsperren, nicht wahr? Du glaubst, ich gehöre in eine Irrenanstalt!«
Er stöhnte und drückte meine Hand an seine Lippen.
»Ich denke nichts dergleichen. Aber ich mache mir wirklich große Sorgen um dich, Christine, und ich finde, du solltest einen Arzt konsultieren.«
Schweigend entzog ich ihm meine Hände, und nach einem Augenblick stand er auf und holte seinen Hut und seine Handschuhe.
»Meine Kutsche steht draußen. Wirst du mir gestatten, dich nach Hause zu bringen?«
»Nein . . . danke, ich gehe lieber zu Fuß.«
Er seufzte, zog seine Handschuhe an und verabschiedete sich widerwillig. In der Tür drehte er sich noch einmal nach mir um. »Aber du wirst über das nachdenken, was ich dir gesagt habe, wenigstens eine Erholungspause in Erwägung ziehen, ja?«
»Darüber brauche ich nicht nachzudenken. Ich habe nur morgen noch eine Vorstellung, und dann geben wir den Faust erst nächsten Monat wieder. Ich werde also alle Zeit der Welt haben, um mich auszuruhen.«
»Oh . . . nun ja, in diesem Fall, vielleicht . . . «
Ich starrte ihn so steinern an, daß er sofort in unbehagliches Schweigen verfiel.
»Gute Nacht also«, sagte er dann, und als ich nicht antwortete, schloß er die Tür hinter sich.
Als er fort war, drehte ich mich um und betrachtete den unheimlichen, schweigenden Spiegel.
War es wirklich geschehen, oder war es nur ein Traum?
Vielleicht sollte ich schließlich doch ernsthaft daran denken, einen Arzt aufzusuchen . . .
Ehe ich Christine sah, glaubte ich bereits alles zu wissen, was ein Mann über die Bitterkeit der Liebe wissen kann.
    Aber jetzt verstand ich, warum das Manuskript Der Triumph des Don Juan mich immer besiegt hatte. Was hatte ich je von der Liebe gewußt? Kindische Phantasien, jungenhafte Verehrung, einfache, rohe Wollust? Ich hatte nur den Kontrapunkt begriffen, nie das Thema. Doch jetzt gab es keinen Schutzschild von Unwissenheit mehr, der meine Sinne hätte schonen können.
Ich war gefangen im Käfig meines Körpers, Tag und Nacht eingeschlossen mit einer heißen, hart pulsierenden Qual, die nicht zu vertreiben und nicht zu lindern war, außer durch Morphium. Die Dosen wuchsen rasch zu selbstmörderischer Stärke, und aus der weißen Hölle dieses Drogenrausches begann eine Musik aufzusteigen, die das menschliche Fassungsvermögen nahezu überstieg. Musik, die niemand je öffentlich zu spielen wagen würde; Musik, die den Zuhörern die Sinne raubte, ihren Körpern Gewalt antat und das Gleichgewicht des Gehirns

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