Kay Susan
kauerte mich auf dem Fußboden zusammen und begann zu weinen. Wieder und wieder bat ich ihn um Verzeihung, aber er antwortete nicht, und mein Kummer wuchs zu wilder und unkontrollierbarer Panik. Der Spiegel zeigte mir das Abbild meines Wahnsinns, als ich anfing, mit den Fäusten gegen das dicke Glas zu schlagen.
»Christine!«
Seine Stimme ergriff mich wie zwei machtvolle Hände, nicht länger kalt und distanziert, sondern freundlich und seltsam traurig.
»Beruhige dich, Kind. Sei still. Ich gebe dir noch eine letzte Chance, mir zu beweisen, daß du meiner Führung würdig bist.«
»Alles«, schluchzte ich, »alles, was du verlangst.«
»Du kannst fortfahren, ihn hier in der Oper zu sehen, solange du ihn mit Gleichgültigkeit behandelst. Sprich kühl zu ihm, weise seine Geschenke zurück und mach ihn zum unglücklichsten jungen Mann auf Erden. Wenn ich sehe, daß du ihn leiden läßt, werde ich wissen, daß du dein Gelübde mir gegenüber nicht verraten hast.«
Ich neigte zustimmend den Kopf, und seine Stimme belohnte mich mit solcher Ekstase, daß in meinem Kopf kein Platz war für Bitterkeit oder Groll.
Wenn dies gedankenlose Versklavung und Unterwerfung unter einen grausamen Herrn war, dann bedeutete mir das nichts mehr. Ich würde nicht um des Lächelns eines jungen Mannes willen auf meinen unsterblichen Hüter verzichten.
Anscheinend habe ich einstweilen gewonnen, doch meine Eroberung ist ein hohler Sieg, der mich nur mit Verzweiflung erfüllt.
∗ ∗ ∗
Ich habe ihr unschuldiges Herz genommen und grausam zur Unterwerfung gezwungen. Für jede Träne, die über ihre bleichen Wangen rann, habe ich hundert Reuetränen vergossen.
Gewiß ist dies die bösartigste Tat, die ich je in meinem Leben begangen habe, aber ich kann nicht aufhören – ich kann sie nicht gehen lassen.
Welch grausame Farce ist das geworden! Selbst wenn alles andere gleich wäre, wäre ich doch noch alt genug, um ihr Vater zu sein!
Aber es ist nicht alles gleich. Ich weiß, in einem fairen Kampf hätte ich keine Chance, also kämpfe ich auf die einzige Art, die ich kenne, und ich werde bis in den Tod kämpfen, wenn es sein muß.
Er ist erst zwanzig, ein harmloser, reizender Junge, der noch sein ganzes Leben vor sich hat.
Aber ich werde ihn töten, wenn ich muß, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, sie zu behalten.
Ja, trotz Nadir, trotz meines Versprechens bin ich ganz sicher, daß ich ihn am Ende werde töten müssen.
3. Kapitel
Ich habe einmal sagen hören, ein Unglück käme selten allein, und soweit ich sehe, wurde nie ein wahreres Wort gesprochen.
Alles ist so, wie ich gefürchtet hatte. Die neue Direktion macht sich stark, ihre Unabhängigkeit zu zeigen und meine Wünsche offen zu mißachten. Meine Gage ist nicht bezahlt worden, und zum erstenmal seit meinem Eingreifen in den Pachtvertrag der Oper hat man Loge Fünf vergeben. Es ist unerträglich! Ich habe ihnen brieflich mein Mißfallen ausgedrückt, aber es sieht so aus, als bräuchten sie einen greifbaren Beweis für meinen Zorn, ehe sie nachgeben. Ich würde viel dafür geben, daß Poligny noch da wäre, vor allem jetzt, da ich Christines Sache fördern will.
Reine Eifersucht von seiten unserer Hauptdarstellerin hindert die Direktion daran, Christines Potential zu erkennen. Carlotta hat einen berühmten Namen, und sie haben schreckliche Angst, sie zu verlieren.
Nun, wenn sie nicht anfangen, auf mich zu hören, könnte es dazu kommen, daß sie sie wirklich verlieren. Ich habe bisher noch nie eine Frau getötet, aber ich habe nichts dagegen, bei dieser gräßlichen Kreatur eine Ausnahme zu machen. Sie hat Christine mehr als einmal zum Weinen gebracht, und das dulde ich nicht.
Gestern abend habe ich die ganze Vorstellung gestört durch manisches Lachen, das unablässig aus Loge Fünf kam. Die unglücklichen Insassen der Loge wurden schließlich von einem Aufseher weggeführt, wobei sie laut ihre Unschuld beteuerten. Und als sie fort waren, ertönte weiterhin mein schreckliches Gelächter und störte den Ablauf der Vorstellung.
Ich denke, die Direktion ist jetzt ausreichend gewarnt, und folglich habe ich meine Anweisungen gegeben und rechne damit, daß man mir gehorcht.
Heute abend soll Christine die Rolle der Margarete singen. Wenn das nicht geschieht, wird jemand Grund haben, es zutiefst
zu bereuen.
Heute abend ist etwas ganz Unglaubliches passiert!
Mitten in einer ihrer triumphalsten Arien begann Carlotta zu krächzen wie eine Kröte. Damit will ich nicht sagen,
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