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Kay Susan

Titel: Kay Susan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das Phantom
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ihre Stimme sei gebrochen – ein gefürchtetes Mißgeschick, das jedem von uns zustoßen kann –, sie war einfach verwandelt. Ich war völlig verblüfft. Es war, als habe ein Racheengel ihr das Schicksal beschert, das ich ihr gewünscht hatte.
    Schreckliche Stille legte sich über den Zuschauerraum. Die Leute waren zu schockiert, um auch nur zu zischen, und Carlotta rannte schließlich hysterisch von der Bühne. Kein Wunder, niemand, nicht einmal ihr schlimmster Feind, hätte von ihr erwarten können, unter so schrecklichen Umständen fortzufahren. Und als Monsieur Richard in großer Aufregung zu mir kam und mich bat, an ihrer Stelle die Margarete zu singen, da wiederholte ich den Triumph meines Galaabends.
    Jetzt allerdings verursacht mir das Ganze schreckliches Unbehagen. Dies ist das zweite Mal, daß ich die Hauptrolle übernommen habe, weil Carlotta irgendein Mißgeschick widerfahren ist. Der Engel der Musik hat eine dunkle Seite, die anfängt, mich zu erschrecken. Als ich ihn fragte, ob er für Carlottas seltsame Krankheit verantwortlich sei, lachte er und sagte, es sei ihm ein Vergnügen, mir jeglichen Wunsch zu erfüllen.
    Es dauerte eine Weile, bis er sich von seinem schrecklichen Heiterkeitsausbruch erholte, und als er es getan hatte, schien er nicht geneigt, mir Unterricht zu geben. Statt dessen begann er zum ersten Mal, wie ein wirklicher Mensch mit mir zu sprechen. Er sprach von seinen Hoffnungen für meine Karriere und gestattete mir ausnahmsweise, ein paar Fragen zu stellen. Er sagte so unglaublich amüsante Dinge über die Direktion, daß ich unwillkürlich lachen mußte, und plötzlich merkte ich, daß wir uns unterhielten wie alte Freunde, leicht und zwanglos.
    Sogar seine Stimme hatte sich verändert. Sie war nicht mehr in meinem Kopf, sondern schien direkt aus dem Spiegel zu kommen; obwohl sie noch immer von unirdischer Schönheit war, hatte sie ihre ehrfurchterregende Resonanz verloren.
    Fast ohne zu wissen, was ich tat, rückte ich näher und näher an den Spiegel. Ich ertappte mich dabei, daß ich mir sein Gesicht als das eines wirklichen, lebendigen Mannes vorstellte, und verspürte ein tiefes Bedürfnis, die Hand auszustrecken und ihn zu berühren. Mit rastlosen, zärtlichen Fingern begann ich die Oberfläche des Spiegels zu erforschen. All diese Monate habe ich im Schlaf seine Stimme gehört und bin mit hoffnungslos in die Dunkelheit gestreckten Händen aufgewacht. Wieder und wieder durchzog er meine Träume wie ein geflügelter Schatten, und obwohl ich verzweifelt nach seinem flüchtigen Bild griff, war ich nie fähig, sein Gesicht zu sehen.
    Jetzt hatte ich das verrückte Gefühl, die Glasscheibe sei alles, was uns trenne, und in einem törichten, unbedachten Augenblick gestand ich meinen verzweifelten Wunsch, ihn zu sehen. Ich flehte ihn an, mir hier in diesem Raum zu erscheinen.
    Seine Wut kam prompt und war schrecklich. Sie schien mich durch den Spiegel zu treffen wie ein elektrischer Schlag, und in schmerzlicher Verwirrung wich ich zurück.
    »Es reicht, daß du mich hörst!« Seine Stimme war hart und kalt und kam plötzlich wieder aus meinem Kopf. »Ich bin deiner sterblichen Gier müde. Denke daran, was dir gewährt wurde, kann dir auch wieder genommen werden.«
    Und dann war er fort.
Weder Tränen noch stundenlanges verzweifeltes Flehen bewirkten, daß er mir verzieh. Ich habe schreckliche Angst, daß er diesmal endgültig gegangen ist.
    Ich wollte ihn doch nur sehen – nur einmal einen Blick auf sein Antlitz werfen.
Warum machte ihn das so wütend?
    Heute wollte Christine mich sehen. Sie bat mich, ihr im Traum zu erscheinen. Ich hatte gerade genug Selbstbeherrschung, um kalte Mißbilligung zu zeigen. Dann floh ich vor ihrer unschuldigen Bitte, bevor mein Kummer mich verriet.
    Erinnerungen überfielen mich, als ich über den See ruderte, Erinnerungen an jenes andere schöne Mädchen, das starb, weil es mich sehen wollte.
    Alles stand wieder so lebhaft vor mir, der Ton ihres Schreis und die abstürzende Steinbrüstung; es hätte gestern sein können.
Nie habe ich so abgrundtiefe Verzweiflung empfunden. Dieses ganze verrückte Spiel gerät mir außer Kontrolle, und wenn ich jetzt kein Ende mache, wage ich nicht daran zu denken, wie es ausgehen wird.
Ich darf nicht zu ihr zurückgehen.
    Jetzt sind es fünf Tage. In meiner Garderobe herrscht nur Schweigen. Ich kann nichts tun. Ich habe keine Möglichkeit, ihn jetzt noch zu erreichen, da er beschlossen hat, mich zu verlassen.

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