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Kay Susan

Titel: Kay Susan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das Phantom
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spielen, solange Christine im Haus war. Zurück an den Anfang, zu der Zärtlichkeit, die der schrecklichen Wollust der Gewalt vorangeht. Blättere zurück und erinnere dich heute nacht nur an die Schönheit.
Ich versank in der Musik, ließ mich durch die Noten treiben, improvisierte leicht und baute neue Melodien auf. Ich war mir meiner Umgebung und des unablässigen Vergehens der Zeit bewußt. Ich hörte zu denken auf und zu hören, ohne die unbarmherzige kleine Hand überhaupt wahrzunehmen, die hinter mir erschien und mir die Maske abstreifte.
Mit einem wahnsinnigen, gequälten Schrei fuhr ich herum, und der Ausdruck auf ihrem Gesicht, als sie mit der Maske in der kraftlosen Hand zurückwich – das Entsetzen und die Fassungslosigkeit –, durchtrennte meine letzte Verbindung mit der Vernunft.
Fluchend und schreiend drängte ich sie gegen die Wand und legte meine Hände um ihren schmalen weißen Hals.
Ich sollte nie herausfinden, ob ich sie wirklich umbringen wollte. Der Schmerz fuhr wie ein Blitz in mich, explodierte in meiner Brust und breitete sich mit lähmender Intensität in meinem linken Arm aus. Mit einem erstickten Keuchen ließ ich sie los und taumelte rückwärts, wollte den Krampf vertreiben, aber er schien nur zuzunehmen, bis er mich zwang, ihr zu Füßen auf die Knie zu fallen.
Undeutlich wurde mir bewußt, daß auch Christine jetzt kniete, neben mir, und sich mit zitternden Fingern an meinen Ärmel klammerte.
»Sag mir, was ich tun soll, flüsterte sie. »Bitte, sag mir, was ich tun soll.«
Ich konnte nicht sprechen. Meine Lippen bewegten sich, aber kein Ton kam heraus. Ich konnte nur verzweifelt die Hand nach der Maske ausstrecken.
Sie schien meine hektische Geste zu verstehen und schob langsam die Maske über den Fußboden auf mich zu. Jetzt, da sie frei war, vor mir davonzulaufen, unternahm sie keinen Versuch dazu. Sie kniete weiterhin auf dem Boden neben mir, und der Rhythmus meines stoßweisen Atems schien in einer bösen Imitation von Harmonie ihrem Schluchzen zu entsprechen.
Dann folgte für eine Weile Schweigen – Schweigen und Schwärze.
Als mein Blick Christine wieder wahrnahm, stand sie in der Mitte des Zimmers und starrte den mit einem Baldachin versehenen Sarg auf dem Podest an. Ihre Augen blickten starr und verschleiert wie die eines Kindes, das aus einem schönen Traum erwacht und sich in einem lebendigen Alptraum wiederfindet. Es war, als habe dieser letzte Schrecken sie über den Rand des Wahnsinns hinausgetrieben.
Dann wurde mir klar, wenn ich stürbe, würde Christine auch sterben, langsam und schmerzvoll, an Hunger und Entsetzen, würde mit ihren Händen gegen die Steine ihres Gefängnisses trommeln. Niemand würde jemals ihre Schreie hören, niemand würde sie je finden. Als armes, verrücktes, schäumendes Wrack würde sie zuletzt zu Boden sinken und im Tod mit mir teilen, was sie im Leben niemals mit mir teilen würde.
»Christine!«
Sehr langsam drehte sie sich in Richtung meiner Stimme, aber offenbar sah sie mich nicht.
»Ich möchte jetzt nach Hause«, sagte sie hoffnungslos. »Ich möchte nach Hause zu Papa. Zu Hause ist es schön . . . nicht wie hier, es ist ganz anders als hier.«
Sie klang, als sei sie acht Jahre alt, und ich wagte mir nicht auszumalen, wie weit sie noch zurückfallen würde, wenn ich diese tödliche Abwärtsspirale in die Panik nicht zum Stillstand brachte. Ich wußte, daß ich sie schnell beschäftigen mußte, ihr eine einfache Aufgabe geben mußte, auf die sie ihre Aufmerksamkeit richten konnte.
»Kannst du Tee kochen?« fragte ich schwach.
Ein verwirrtes Stirnrunzeln erschien auf dem Gesicht, das eben noch erschreckend ausdruckslos gewesen war.
»Tee?« wiederholte sie verständnislos, sich langsam in die Wirklichkeit zurücktastend. »Du meinst englischen Tee . . . mit Milch?«
»Nein, nein, russischen Tee, mit Zitrone. Es ist wirklich ganz einfach. Du brauchst nur den Samowar anzuzünden.«
»Den Samowar«, wiederholte sie wie ein begriffsstutziges Kind, das sich große Mühe gibt, eine fremde Sprache zu meistern. »Wo ist er?«
»Dort drüben.« Es gelang mir, eine schwache Geste in die Richtung zu machen, in die sie schauen sollte. »Die große Messingkanne neben . . . « Wir starrten jetzt beide auf den Sarg. »Neben . . . dem Korb der Katze. Du siehst doch den Katzenkorb, nicht wahr, unter dem roten Baldachin.«
Wieder das schwarze, leere Starren, als schwänden ihr die Sinne.
»Das ist ein Sarg«, sagte sie in dumpfem Entsetzen.
»Nein«,

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