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Kay Susan

Titel: Kay Susan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das Phantom
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zu sehen war. Solange ich ihn dort trug, war er nur ein Schmuckstück, und ich konnte mir einreden, daß ich auf meine Art beiden Männern treu blieb. Noch konnte ich mich nicht damit abfinden, daß ich zwischen ihnen wählen mußte; noch glaubte ich, solange ich beide auf ihre getrennten Welten beschränkte, könnte ich eine Tragödie abwenden.
Als die Oper sich geleert hatte, schlüpfte ich hinaus auf die Straße, meine Kapuze eng um den Kopf gezogen, um mich vor dem kalten Wind zu schützen. Mein Hals war rauh von einer beginnenden Erkältung, und ich hatte heute abend meine Stimme zum Singen zwingen müssen. Das war ein Verstoß gegen Eriks strenge Anweisungen, aber was hätte ich tun sollen? Ich hätte ja nicht die Primadonna spielen und mich in letzter Minute weigern können, die Bühne zu betreten. Monsieur Richard hätte vermutlich sofort meinen Vertrag gelöst, wenn ich mir solche Dinge erlaubte; er hatte schlechte Laune, seit die Probleme mit dem Operngeist begannen, und man erzählte sich, er sei derzeit mit dem Zerreißen von Verträgen sehr schnell bei der Hand.
Als ich mich dem Tor näherte, das zu dem unterirdischen Gang führte, sprach ein Mann mich an. Nein, eigentlich sprach er mich nicht an. Der Mann, der aus dem Schatten trat, wich mit einer verblüfften Entschuldigung an die Mauer zurück, als er mich sah.
»Mademoiselle! Bitte, verzeihen Sie mir, ich wollte Sie nicht erschrecken. In der Dunkelheit dachte ich einen Augenblick lang . . . «
Er verstummte und wirkte zugleich verwirrt und betrübt, und sofort empfand ich eine merkwürdige Besorgnis.
»Wen erwarteten Sie denn um diese Nachtstunde zu sehen, Monsieur?« fragte ich, um ihn aufzuhalten, denn er wollte sich davonmachen.
»Niemanden!« sagte er mit unverkennbarem Schrecken. »Ich erwartete niemanden, Mademoiselle, das versichere ich Ihnen.«
»Ist es Erik?« beharrte ich freundlich. »Haben Sie Erik gesucht?«
Der Mann wurde sehr still, und in der Dunkelheit sah ich, wie seine Augen sich ungläubig weiteten.
»Sie kennen Erik?« flüsterte er entsetzt.
»Ich treffe ihn gleich.«
Der Mann starrte mich einen Augenblick lang an, dann senkte er langsam den Kopf. Als er in seiner Tasche nach etwas suchte und ein kleines Paket hervorholte, konnte ich sehen, daß seine Augen sich mit Tränen gefüllt hatten.
»Gott schütze und bewahre Sie, Mademoiselle«, sagte er bewegt. »Das Antlitz Gottes möge Ihnen leuchten, solange Sie leben. Sie sind also sein kleiner Engel. Als er mich bat, all diese Damenkleider zu bestellen, hatte ich solche Angst, die Einsamkeit und . . . und das hier«, er tippte bedeutungsvoll auf das Päckchen, »hätten ihn um den Verstand gebracht.«
Impulsiv streckte der Mann die Hand aus und hob meine behandschuhte Hand an seine Lippen.
»Also war das für Sie, das Brautkleid und der Ring. Mademoiselle, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie glücklich ich bin, die Bekanntschaft einer so wunderbaren Frau zu machen. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie glücklich . . . «
Abrupt hielt er inne, als sei ihm seine eigene Indiskretion peinlich.
»Geben Sie ihm das von mir«, fuhr er fort und bemühte sich jetzt, gelassen und ruhig zu klingen. »Erik hätte mich vor einer Woche hier treffen sollen, und als er nicht kam, fürchtete ich, er hätte . . . Aber ich sehe, daß ich im Irrtum war, vollkommen im Irrtum.« Seufzend reichte der Mann mir das Päckchen. »Vermutlich wissen Sie, was das ist, aber Sie dürfen nicht verzweifeln, Mademoiselle, wirklich nicht. Um Ihretwillen wird er die Kraft finden, damit aufzuhören. Ich glaube, er würde sich das Herz aus dem Leib schneiden, um Ihnen eine Freude zu machen. Aber das wissen Sie natürlich. Ich hoffe, Sie finden es nicht anmaßend, wenn ich sage, daß gewiß Gott in seiner Weisheit Sie auserwählt hat. Mademoiselle, ich werde Ihrer heute nacht in meinen Gebeten gedenken.«
Noch einmal drückte er meine Hand, und dann eilte er die Rue Scribe entlang, stieg in eine wartende Kutsche und fuhr davon. Ich stand da und starrte auf das Päckchen mit Morphium in meiner behandschuhten Hand.
Erik hatte das Brautkleid und den Ring. Alles, was noch fehlte, war die Braut. Ich versteifte mich in plötzlicher Angst, als mir die Bedeutung der Worte des Mannes klarwurde. Erik hätte ihn hier vor einer Woche treffen sollen. Warum hatte er eine so wichtige Verabredung nicht eingehalten?
Ich öffnete das Tor und lief durch die finsteren Gänge zum See. Die Luft am Wasser war feucht und kalt, und die

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