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Kay Susan

Titel: Kay Susan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das Phantom
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nervös in meinen Taschen suchend, »ich kann mein Taschentuch nicht finden. Ich muß es verloren haben, als wir über den See ruderten. Hast du ein Taschentuch, Erik?«
Er sah mich so traurig an, daß ich mir meine linkische, stotternde Zunge hätte abbeißen mögen.
»Ich habe nicht viel Verwendung für Taschentücher, meine Liebe. Du siehst, es hat gewisse Vorteile, keine Nase zu besitzen.«
Ich hielt mir die Hand vor den Mund.
»Oh, Erik! Ich war gedankenlos. Es tut mir so leid. Bitte, vergiß es, ich kann ebensogut ohne auskommen.«
»Gegen Kinder, die die Nase hochziehen, ist allerhand einzuwenden«, sagte er mitleidig. »Warte hier, ich schaue nach, was ich finde.«
Er blieb eine ganze Weile fort, doch als er zurückkam, brachte er ein halbes Dutzend mit Spitze besetzter Damentaschentücher mit. Ich sah sofort, daß sie nicht neu waren, wie die anderen Gegenstände in meinem Zimmer. Jedes war sorgfältig um einen Lavendelzweig gefaltet und trug den Buchstaben »M« in einer Ecke.
»Ich sehe, daß du die Initialen betrachtest«, bemerkte er müde. »Ich kann dir versichern, daß sie keiner früheren Verehrerin gehörten. Wenn du genau hinschaust, wirst du sehen, daß die Spitze vor Alter schon ganz vergilbt ist. Die Besitzerin ist seit zwanzig Jahren tot.«
Er schlenderte an den Kamin, und als ich seine steife, ungebeugte Gestalt betrachtete, wurde mir plötzlich klar, wer die Besitzerin gewesen sein mußte.
»Wie hieß deine Mutter?« fragte ich leise.
Ein langes Schweigen folgte, ehe er sich zu mir umwandte. »Madeleine«, sagte er.
»Was für ein hübscher Name!« rief ich unwillkürlich aus. Ich hätte ihn den Namen gern noch einmal sagen hören, doch etwas in der Art, wie er mich ansah, brachte mich rasch davon ab. In seinen Augen lag ein zwiespältiger Ausdruck, der mich ziemlich erschreckte, und doch war ich von einer starken Neugier gepackt, die nicht einmal durch vage Angst zu unterdrücken war. Wenn seine Mutter schon zwanzig Jahre tot war, dann mußte sie 1861 gestorben sein, im gleichen Jahr, in dem ich in Schweden zur Welt gekommen war.
»Hast du ein Bild von ihr?« fragte ich impulsiv.
Er stand so angespannt und reglos da, daß er aus schwarzem Granit hätte sein können. Dann nahm er aus einer zweiten Schachtel auf dem Kaminsims einen kleinen, zusammengeklappten Bilderrahmen, der zwei verblichene Porträts enthielt, und reichte ihn mir.
Das eine Porträt zeigte einen dunkelhaarigen Mann. Er war in mittleren Jahren, sah glänzend aus und hatte freundliche, humorvolle Augen. Und das andere . . .
Das andere war ich!
Mit einer altmodischen Frisur und einer gewissen Härte um Lippen und Augen, aber zweifellos ich.
Erik beugte sich vor, nahm den Bilderrahmen aus meiner zitternden Hand, und legte ihn in das Kästchen zurück.
»Wie ist das möglich?« flüsterte ich. »Wie kann das sein?«
Er zuckte die Achseln. »Von Zeit zu Zeit wiederholen sich gewisse physiognomische Strukturen, ohne daß eine Blutsverwandtschaft vorliegt. Kein menschliches Gesicht ist völlig einzigartig, meine Liebe. Vielleicht gibt es sogar irgendwo auf der Welt noch einen armen Teufel, der aussieht wie ich.«
»Erzähl mir von ihr, Erik!«
»Das möchte ich lieber nicht«, sagte er kühl.
»Bitte!« drängte ich ihn. »Ich muß etwas über sie erfahren.«
»Sie war sehr jung und sehr schön«, begann er widerstrebend. »Sie haßte mich, und ich haßte sie. Ich lief von ihr fort, als ich etwa zehn Jahre alt war. Es tut mir leid . . . Ich kann nicht darüber sprechen.«
Er wandte mir den Rücken zu und stützte die Hände auf den Kaminsims. Nach einer Weile sagte er ziemlich barsch, er wäre mir sehr verbunden, wenn ich mit meiner Erkältung jetzt zu Bett ginge.
Ich nahm das Päckchen mit dem Morphium aus meiner Tasche und betrachtete es traurig, ehe ich es auf das Manuskript von Der Triumph des Don Juan legte. Ich wußte, daß er es dort bestimmt finden würde.
Dann tat ich das, was jeder vernünftige Mensch tun würde, wenn Erik ihm einen direkten Befehl gibt: Ich gehorchte, ohne zu fragen.
8. Kapitel
    Jetzt sind es fünf Tage, seit Erik mir wieder zu singen erlaubte. Zwei Tage lang durfte ich den Mund überhaupt nicht aufmachen, sondern schluckte gehorsam die Tränke, die er mir in regelmäßigen Abständen brachte, und verständigte mich schriftlich mit ihm, wenn es nötig war. Was meine Stimme angeht, so bleibt sein Regime ebenso streng und unbeugsam wie in der Zeit, als ich ihn nur als Engel der Musik kannte. Absolute

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