Kay Susan
um deine Liebe. Ich habe dich gebeten, mich zu heiraten, aber ich möchte nicht, daß du mir jetzt antwortest. Ich möchte, daß du morgen abend wiederkommst, nach der Vorstellung, und mir sagst, was du beschlossen hast. Willst du mir das versprechen, Christine, daß du zurückkommst und es mir sagst? Selbst wenn die Antwort nein lautet?«
Ich starrte zu Boden, unfähig, ihm in die Augen zu sehen. Nie hätte ich geglaubt, daß ein menschliches Herz soviel Elend empfinden kann wie meines in diesem Augenblick. Und dann hörte ich mich seiner Bitte zustimmen.
9. Kapitel
Ich fand das Brautkleid zerknittert auf dem Stuhl, wohin sie es gestern abend geworfen haben mußte, und als ich mich niederbeugte, um die Falten auszuschütteln und es in den Schrank zurückzuhängen, fiel die geöffnete Kette aus den Satinfalten, wo sie ungesehen gelegen hatte. Die Kette mit dem Kruzifix – und dem Ring!
Ich setzte mich auf das Bett und untersuchte ihn mit dumpfem Entsetzen. Die Diamanten waren von höchster Qualität, eingebettet in eine Fassung, deren Neuheit am völligen Fehlen von Kratzern und matten Stellen zu erkennen war. Dies war kein Andenken, das zur Erinnerung an eine verstorbene Verwandte getragen wurde. Ich wußte, wer ihn ihr geschenkt hatte, und ich wußte, warum sie sich entschlossen hatte, den Ring insgeheim und für mich unsichtbar zu tragen.
Ich hatte ihr vierundzwanzig Stunden gegeben, weil ich noch nicht den Mut hatte, mich ihrer Antwort zu stellen, ohne ein abstoßendes Schauspiel aus meinem Kummer zu machen.
Doch als ich den Ring betrachtete, wußte ich zweifelsfrei, daß ich diesen Mut finden und sie in Würde gehen lassen mußte. Sie liebte mich nicht, aber sie respektierte mich als Mann – als menschliches Wesen – genug, um anstandshalber so zu tun, als müsse sie sich die Antwort überlegen. Und ich meinerseits mußte ihre Entscheidung respektieren. Diesmal würde ich meinen Stolz wahren, ohne Tränen und ohne erniedrigendes Kriechen, für die ich hinterher brennende Scham empfinden würde. Stolz war alles, was mir bleiben würde, um die Qual ihrer Ablehnung durchzustehen. Stolz würde mich veranlassen, ihr alles Gute zu wünschen und mich mit Anstand und Höflichkeit von ihr zu trennen.
Ich konnte nicht länger im Haus bleiben, mir war, als bekäme ich keine Luft. Ich empfand den starken Drang, nach oben zu gehen und in die kühle Abendbrise hinauszutreten, an einen hochgelegenen Ort zu steigen, wo ich mich vielleicht dem Gott näher fühlen würde, an den zu glauben ich mich beständig geweigert hatte.
Im Herzen glaube ich noch immer an Wunder. Gott ist der größte aller Magier. Er, der eine häßliche Raupe in einen schönen Schmetterling verwandelt, ist gewiß auch fähig, aus Widerwillen und Angst Liebe zu machen.
Heute nacht bin ich bereit, mich auf die Knie zu werfen, wie ich es als sehr kleines Kind zu tun pflegte, und Gott einen letzten, sehr kindlichen Handel anzubieten.
»Bitte, Gott, mach, daß sie mich liebt, und ich verspreche, für immer gut zu sein.«
Ich könnte hier beten, aber ich weiß, daß das nicht recht ist; ebensogut könnte ich aus der tiefsten Hölle beten. Hier unten werde ich niemals erhört werden. Ich muß auf die Dachfirste von Paris, den Sternen nahe genug, um sie zu berühren.
Die Statue des Apollo auf dem Dach des Opernhauses, zehn Stockwerke über dem Boden, ist die größtmögliche Nähe zum Himmel, die ich jetzt erreichen kann.
Gewiß wird er mich von dort aus hören.
Ich hatte mich so sehr in panische Angst verloren, als ich auf meine Garderobe zuging, daß ich kaum den kleinen Botenjungen wahrnahm, der mir nachlief und die Hand an seine Mütze legte.
»Mademoiselle, ich sollte Ihnen das hier geben, sobald Sie zur Arbeit kämen.«
Als ich den Umschlag betrachtete, den er mir reichte, erkannte ich sofort Raouls ausgreifende, unordentliche Schrift, und mein Herz tat einen schmerzhaften Satz.
»Wann hast du das bekommen?«
»Heute morgen, Mademoiselle, vom Kutscher des Vicomte de Chagny. Ich kann eine Antwort überbringen, wenn Sie möchten«, fügte der Junge frech hinzu, »das kostet Sie nur zwei Francs für meine Mühe.«
Statt ihn für seine Frechheit zu schelten, eilte ich mit dem Jungen in meine Garderobe und ließ ihn warten, während ich hastig eine Zeile auf ein Stück Papier kritzelte. Ich hatte keinen Umschlag zur Hand, aber ich bezweifelte, daß der Bursche lesen konnte.
»Kennst du das Haus der Chagnys?«
»Ja, Mademoiselle, jeder kennt
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