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Kay Susan

Titel: Kay Susan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das Phantom
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vorher hatte ich bemerkt, daß die Tür mit Riegeln versehen war, doch nun schob ich sie mit linkischen Fingern zu, zog das Kleid aus und warf mich auf mein Bett, zitternd vor Schrecken und Zorn. Plötzlich empfand ich verzweifelte Sehnsucht nach Raoul, dem lieben, ungefährlichen Raoul, dem Spielgefährten meiner Kindheit, der mich nie, nie so erschrecken würde. Oh, Gott, wie konnte ich jemals glauben, ich hätte keine Angst vor Erik. Er war bestimmt der furchterregendste Mensch auf dieser Erde. Diese wahnsinnigen Wutanfälle, diese offene, kaum beherrschte physische Aggression, die immer häufiger Gewalttaten anzudrohen schien!
»Ich komme nie wieder her«, gelobte ich, den Kopf in das Kissen gepreßt. »Ich komme nie, nie wieder hierher zurück!«
Als ich hörte, wie die Orgel zu spielen begann, vergrub ich das Gesicht zuerst tiefer in den Kissen und hielt mir die Ohren zu. Ich wollte diese verhaßte Musik nicht hören, ich wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben. Doch es war unmöglich, die anschwellende Kraft der Orgel fernzuhalten, und langsam und widerstrebend nahm ich die Hände weg und begann zu lauschen. Ich hatte diese Musik nie vorher gehört, aber ich konnte erraten, was es war: Der Triumph des Don Juan . Er hatte mir nie erlaubt, das Manuskript anzusehen. Er sagte, es sei gefährlich, und diese Behauptung hatte mich immer verwirrt, denn ich konnte mir nicht vorstellen, daß Musik eine Gefahr war.
Als die Töne mich umfluteten, seltsam drängend und zwingend, merkte ich, daß ich angefangen hatte, mich leicht in dem primitiven, pulsierenden Rhythmus zu wiegen. Ich bemerkte ein antwortendes Pochen in meinem Körper, in den Handgelenken, im Hals und in den Lenden, das ich normalerweise nicht verspürte. Der Rhythmus meines Herzens beschleunigte sich, bis es dem rasenden Tempo dieser außergewöhnlichen Musik folgte. Fast ohne es zu wollen, ließ ich meine Hände über meinen Körper wandern. In meinen Brüsten war eine schwellende Schwere, die meine Brustwarzen unter meinen forschenden Fingern wachsen ließ. Doch jetzt machte sich das intensive Pulsieren stärker und drängender im Schoß bemerkbar, und meine Hand wanderte weiter und weiter, bis sie eine Stelle erreichte, von deren Existenz ich nichts gewußt hatte.
Weder Unschuld noch Unwissenheit waren ein Schutz vor dieser Musik, die jetzt tief in mir wühlte und einen pochenden Drang auslöste. Ich drehte und wand mich und streckte instinktiv die Arme nach den Schatten aus, als wolle ich sie an mich ziehen. Meine Arme hatten das Kissen umschlungen, und ich ritt auf den in mich eindringenden Tönen, bis das Crescendo in meinem Kopf explodierte und ein außerordentliches Gefühl meinen ganzen Körper durchflutete.
Als die Orgel verstummte, lag ich in angstvollem Schweigen in der Dunkelheit und lauschte dem sich verlangsamenden Pochen meines Herzens.
War es das, was er mit gefährlich gemeint hatte?
Welch seltsames Netz von verzerrten Gefühlen uns verband, und wie schrecklich unzulänglich schien im Vergleich dazu meine schlichte Liebe zu Raoul! Die erste Liebe, flach und substanzlos, ganz frei von den unergründlichen Schatten und dem weißglühenden Licht meiner Bindung an Erik.
Oh, Raoul! Wir hätten so schlicht miteinander glücklich sein können, du und ich, wenn all das nie geschehen wäre, wenn ich Erik niemals kennengelernt und nie einen Blick in eine Welt jenseits aller menschlichen Vorstellungskraft geworfen hätte.
Aber ich habe mich verändert, Raoul, bis zur Unkenntlichkeit verändert durch einen Mann, der mich mit solcher Angst erfüllt, daß ich ihn aus meinem Zimmer und meinem Bett ausgesperrt habe.
Doch obwohl ich vor ihm fliehe, entgehe ich seiner Kontrolle nicht, seine Musik dringt durch die Wände, verzehrt mich, besitzt mich, spielt mit mir wie mit einem Stück Treibholz in stürmischer See, ertränkt mich. Meine Gedanken sind nicht länger die einer unschuldigen Naiven, und ich fürchte, das Wissen, nach dem ich zu hungern begonnen habe, kannst du mir nicht geben.
Ich kann nicht zurück, und zugleich habe ich nicht den Mut weiterzugehen. Das Meer steigt zu meinem einsamen Felsen, und bald werde ich keinen Fluchtweg vor der Flut mehr haben.
Und ich kann nicht schwimmen! Ich kann nicht schwimmen! Oh, Raoul, ich habe solche Angst!
    Abscheu und Scham trieben mich schließlich hinaus in die dunklen Straßen, wo ich allein mit meinem Kummer wandern konnte. Wäre die unheilvolle Begegnung im Bois nicht gewesen, hätte ich niemals

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