Kay Susan
Abendessenszeit herauslassen.«
Ich verließ die Baustelle mit finsterem Gesicht. Meine Männer starrten mir mit unverhohlenem Mitgefühl nach. Schon mit drei Jahren war Luciana bekannt für ihren Eigensinn.
Ich konnte ihr Geschrei bereits hören, als ich noch zwei Straßen entfernt war, und mein Zorn wuchs, als ich in das Haus stürmte.
»Wage es nicht, sie herauszulassen, Giovanni!« kreischte Isabella, als ich mich anschickte, in den Keller zu gehen. Wage es nicht, meine Autorität bei diesem unglückseligen Kind zu untergraben!«
Ich fuhr auf dem Absatz der Kellertreppe herum, als sie meinen Arm ergriff.
»Wie kannst du so etwas tun!« schrie ich. »Wie kannst du mich vor meinen Leuten zum Narren machen! Ein Baby in einen dunklen Keller zu sperren! Du mußt verrückt sein.«
»Sie ist kein Baby mehr, sie ist drei Jahre alt, und wenn sie nicht bald lernt, zu tun, was man ihr gesagt hat, dann wird sie keine vier Jahre alt, das verspreche ich dir. Ich habe genug von ihren Wutanfällen, hast du mich verstanden, Giovanni? Ich habe genug! Das ist allein deine Schuld! Du hast sie verzogen seit dem Tag ihrer Geburt, und nun kann niemand etwas mit ihr anfangen, du eingeschlossen.«
Ich lief hinunter in den Keller, riß die Tür auf und nahm das aufgeweichte, hysterische Bündel in die Arme, das in einer Pfütze aus Urin und Erbrochenem auf dem steinernen Fußboden lag.
Auf der Treppe hielt ich inne, um Isabella mit einem verächtlichen Blick zu messen, der sie bis an die Wand zurückweichen ließ. Ich war so außer mir vor Zorn, daß ich sie zum ersten Mal in unserer fünfundzwanzigjährigen Ehe beinahe geschlagen hätte.
»Es ist nicht ihre Schuld, daß du mir keinen Knaben schenken konntest«, sagte ich mühsam beherrscht. »Wenn du sie je wieder dafür bestrafst, dann suche ich mir eine, die dazu imstande ist, einen Sohn zu bekommen.«
Und so ging es fort während Lucianas turbulenter Kindheit . . . die Streitigkeiten, die Szenen, der endlose Konflikt zwischen Isabella und mir. Während wir früher in vollkommener Harmonie gelebt hatten, herrschte jetzt ständig Zwietracht, und all das wurde unschuldig gefördert durch das außerordentlich hübsche Kind, dessen eigensinniger Liebreiz das Entzücken meiner späten mittleren Jahre ausmachte. Ich war umgeben von einer farblosen Frauenschar, und Luciana wirkte wie ein schelmischer Sonnenstrahl, der zwischen düsteren Wolken hervorblitzt. Schon damals konnte ich ihrem Charme und ihren leicht fließenden Tränen nicht widerstehen.
Später mußte ich allerdings einräumen, daß das, was sie mit drei Jahren vollkommen unwiderstehlich gemacht hatte, mit dreizehn nicht mehr halb so reizend wirkte. Inzwischen war ich Witwer, ein volles Jahrzehnt älter und den unbeherrschten Äußerungen von Lucianas störrischer Persönlichkeit weniger gewachsen. Ich begann zu begreifen, daß Isabellas Ängste ihre Gründe gehabt hatten. Das Kind begann zu verwildern, als die Mutter starb. Kurze Zeit lebte sie bei Angela, doch sie richtete im Haushalt ihrer Schwester derartige Verheerungen an, daß ich nicht umhin konnte, sie an einen Ort zu schicken, wo sie die harte Lektion der Selbstbeherrschung vielleicht lernen würde.
Die Klosterschule, die ich wählte, befand sich in der Nähe von Mailand, weit genug von zu Hause entfernt, um ihr jeden Gedanken an Flucht zu nehmen, aber doch nahe genug für die Tante, die es auf sich nahm, sie in den kurzen Weihnachts- und Osterferien zu beherbergen. Luciana, immer begierig, Neues zu erleben, reiste recht heiter nach Mailand ab; binnen zweier Wochen jedoch bekam ich den ersten von vielen traurigen kleinen Briefen.
Liebster Papa,
ich bin so unglücklich hier. Die Nonnen sind sehr unfreundlich, und keines der Mädchen mag mich. Bitte, bitte, ändere Deine Meinung und sage, daß ich zu Weihnachten wieder nach Hause kommen darf.
Der Brief hielt mich die ganze Nacht wach. Ich stand auf, ehe sich der erste Dämmerschein am Himmel zeigte, wanderte zerstreut zur nächstgelegenen Baustelle – und dort sah ich Erik zum ersten Mal und gewann die Kraft, den raffinierten Bitten meiner ungezogenen kleinen Tochter nicht nachzugeben. Ich beschloß, an meiner ursprünglichen Absicht festzuhalten: Luciana sollte erst im Sommer nach Hause kommen dürfen.
Doch nun stand der Sommer bevor, und ich hatte es ihm noch immer nicht gesagt.
In ganz Rom läuteten die Glocken und riefen die Gläubigen zur Frühmesse. Als ich in den Hof hinaustrat und meinen Hut zurechtrückte,
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