Kay Susan
das für mich zubereitet?«
Sie streckte die Hand aus, nahm mir den Becher aus der Hand und schluckte seinen Inhalt ohne den geringsten Laut des Protests.
Das war der Augenblick, in dem ich mir endlich meine Niederlage eingestand. Ich war zu alt, zu krank und ganz allgemein zu weich, wenn es um Luciana ging, um ihr irgend etwas zu verweigern, für das zu kämpfen sie entschlossen war.
Sie reiste nicht nach Mailand zurück. Das bedeutete: Die Tragödie war nicht mehr aufzuhalten.
5. Kapitel
Ich ging nie in das Souterrain hinunter, in Eriks Zimmer. Von Anfang an hatte ich das Recht des Jungen auf Privatsphäre respektiert, sein tiefverwurzeltes Bedürfnis nach einem Platz, der ihm allein gehörte. Deshalb war ich ärgerlich, als ich erfuhr, daß Luciana sich dort während seiner Abwesenheit eingeschlichen hatte.
»Es ist so seltsam dort, Papa«, sagte sie ehrfürchtig. »Der Boden ist bedeckt mit Zeichnungen und Notenblättern, und alle Regale, in denen Mama Eingemachtes aufbewahrte, sind voller – Sachen.«
»Was für Sachen?« fragte ich, nun doch ein wenig neugierig.
»Ich weiß nicht, Papa, ich habe nie dergleichen gesehen. Es gibt eine Menge Drähte, und als ich einen berührte, sprühte er Funken.«
»Du sollst dich nicht um Dinge kümmern, die dich nichts angehen«, sagte ich mechanisch. »Halte dich in Zukunft von dem Zimmer fern, hast du mich verstanden?«
»Ja, Papa«, seufzte sie.
Ich war beunruhigt. Die Sorge war größer als mein Abscheu vor Schnüffelei. Als ich wieder einmal allein war, nahm ich eine Kerze und ging hinunter in die alte Vorratskammer, die ich Erik überlassen hatte.
Verblüfft sah ich mich um. Mir wurde klar, daß ich das Laboratorium eines Erfinders betreten hatte. Meine wissenschaftlichen Kenntnisse waren recht oberflächlich, aber ich glaubte Apparate zu erkennen, die zur Erzeugung elektrischer Impulse dienten. Und da war noch mehr, viel mehr, das ich nicht einmal im Ansatz verstand, Reihen um Reihen von funktionierenden Modellen – zumindest nahm ich an, daß sie funktionierten –, die auf mich merkwürdig bedrohlich wirkten. Der Junge arbeitete vierzehn Stunden am Tag auf meinen Baustellen und hatte noch genug Energie übrig, um den größten Teil der Nacht hindurch wachzusitzen und zu basteln, zu zeichnen, zu komponieren. Ich erinnerte mich, bemerkt zu haben, daß sich sogar auf den Baustellen sein Interesse zunehmend Ingenieurproblemen zuwandte, Lösungen, die jenseits der Kenntnisse eines Steinmetzes lagen. Ein- oder zweimal hatte er so erstaunlich ausgefallene Vorschläge gemacht, daß ich versucht gewesen war, ihn laut auszulachen. Doch vielleicht waren es doch nicht einfach absurde Vorstellungen einer überhitzten Phantasie gewesen.
Ich ging wieder nach oben und beschloß, nichts von dem zu sagen, was ich gesehen hatte. Ich vertraute seiner Vernunft genug, um einigermaßen sicher zu sein, daß er nicht bei irgendeinem verrückten Experiment mein Haus in die Luft sprengen würde.
Aber ich war verstört über seine nächtliche Abwesenheit, diesen neuen Beweis seiner Unfähigkeit, mit meiner Tochter in Ruhe unter einem Dach zu leben. Ich fragte mich, was in diesen Stunden der Dunkelheit, in denen gewöhnliche Sterbliche friedlich schnarchend in ihren Betten lagen, in seinem gequälten Geist vor sich ging. Und mein Unbehagen wuchs weiter.
Am Ende des Frühjahrs gab Lucianas schamlos Ränke schmiedender Verstand ihr ein neues Mittel ein, um Erik aus seinem Bastelkeller zu locken. Sie wollte die Dachterrasse in eine schöne Laube verwandeln. Ein Teil ihres Plans war eine Travertinbank, die der Junge für sie anfertigen sollte.
»Das können Sie doch, nehme ich an?« fragte sie mit einer Impertinenz, derer ich mich schämte. »Eine Bank, das ist wohl nicht zu schwierig für Sie, nicht wahr?«
»Nein, Mademoiselle, das ist nicht zu schwierig.« Er sprach mit kühler Höflichkeit wie stets, aber seine Stimme hatte einen unverkennbaren Unterton, der erkennen ließ, daß er sich nicht sehr viel weiter würde treiben lassen. Da beschloß ich, das ganze Unternehmen zu überwachen.
Zwanzig steinerne Urnen wurden vorn Markt geliefert, und nach und nach trug Erik sie hinauf zum Dach und füllte sie mit Erde.
»Das übrige will ich selbst tun«, verlangte Luciana. »Ich will nicht, daß Sie sich an meinen neuen Pflanzen zu schaffen machen. Jungen verstehen nichts von Blumen. Sie sollten jetzt an der Bank weiterarbeiten, ich hoffe, daß Sie nicht den ganzen Sommer dazu
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