Kay Susan
daß er ebenfalls das blutbefleckte Leinen sah.
»Sie sind sehr krank, Signor«, sagte er voll Besorgnis.
Atemlos machte ich eine resignierte Geste und stopfte das Tuch wieder in die Tasche, weil ich sah, daß sein Anblick ihn bekümmerte.
»Irgendwann ereilt dieses Schicksal jeden Steinmetz, Erik – gegen den Schmutz und Staub hat man noch kein Mittel gefunden. Aber ich denke, ich habe noch ein oder zwei Jahre vor mir. Es gibt also keinen Grund, so bedrückt dreinzuschauen, mein Junge.«
Er zögerte einen Augenblick und brachte dann eine kleine Phiole zum Vorschein, die er offenbar hinter dem Rücken versteckt gehalten hatte.
»Wenn Sie dies versuchen möchten«, begann er schüchtern, »würden Sie vielleicht etwas Linderung finden.«
Ich nahm die Phiole aus seiner Hand und öffnete sie. Ein durchdringendes, aber nicht unangenehmes Kräuteraroma stieg daraus auf.
»Woher hast du das?« fragte ich mit verblüfftem Interesse.
»Ich habe es selbst gemacht«, gestand er verlegen. »Ich habe bei den Zigeunern die Eigenschaften der Kräuter kennengelernt.«
Ich kostete einen Schluck und verzog das Gesicht.
»Entweder es heilt, oder es bringt einen um. Ist es etwas in der Art?«
Er schüttelte lachend den Kopf. Mehr und mehr akzeptierte er jetzt meine Neckereien und lernte, über seine eigene Ernsthaftigkeit, sogar über seine gelegentlichen Fehler zu lachen.
»Sie sollten erst die Arznei gegen Gicht probieren«, sagte er unerwartet, »dann hätten Sie wirklich Anlaß zum Protest. Sie schmeckt wie der Urin eines Stinktiers und hält einen eine Woche auf dem Abtritt fest. Außerdem wirkt sie nicht.«
Ich leerte die Phiole und gab sie ihm lächelnd zurück.
»Vielleicht könntest du mir jetzt die Treppe hinaufhelfen«, sagte ich.
»Natürlich . . . «
Er trat näher, um mir mit staunender Verwunderung den Arm zu reichen. Ich legte meine Hand auf seine Schulter und ließ mein volles Gewicht auf seiner schmalen, aber überraschend starken Gestalt ruhen. Als wir mein Zimmer erreichten, brachte er mich vorsichtig zu meinem Bett und kniete dann nieder, um mir die Stiefel auszuziehen.
»Gute Nacht, Signor«, sagte er sanft. »Ich hoffe, Sie können jetzt ruhen.«
Ich war bereits angenehm schläfrig. Was immer er mir gegeben haben mochte, es beruhigte die Krämpfe in meiner Brust und wirkte wie ein starkes Opiat. Ich sah, daß er sich kurz im Zimmer umschaute, als wolle er sichergehen, daß er nichts übersehen hatte, was meine Bequemlichkeit betraf. Er schloß die hölzernen Fensterläden, und als er zurückkam, stellte er ein Glas Wasser neben mein Bett. Ich griff impulsiv nach seiner Hand, um sie zu drücken.
»Du bist ein guter Junge, Erik«, sagte ich liebevoll.
Er hielt einen Augenblick meine Finger zwischen seinen Handflächen, und ich merkte, daß er zu zittern begann. Mein Gott, der Junge weinte – weinte, weil ich freundlich zu ihm gesprochen und ihn wie einen Vater gestreichelt hatte!
»Erik . . . « flüsterte ich hilflos.
»Es tut mir leid!« stammelte er, ließ meine Hand fallen und trat hastig vom Bett zurück. »Es tut mir sehr leid. Bitte, verzeihen Sie mir!«
Und ehe ich ein Wort sagen konnte, um ihn aufzuhalten, war er aus dem Zimmer geflohen.
Ich lehnte mich in die Kissen zurück und starrte an die Stuckdecke. Der Sturm seiner heftig unterdrückten Gefühle ließ mich wieder einmal nachdenken, wie ich eine Situation handhaben sollte, die nicht viel länger zu vermeiden war.
Denn ich war nicht vollkommen aufrichtig zu ihm gewesen, als ich ihn glauben machte, ich lebte allein und als Witwer, nur bedient von einer alten Frau, die ins Haus kam, um zu kochen und zu putzen, und gelegentlich pflichtschuldig besucht von verheirateten Töchtern, die außerhalb Roms lebten. Elf Monate waren vergangen, und ich hatte noch immer keinen geeigneten Augenblick gefunden, um meine Unterlassungssünde zu gestehen.
Wir schrieben bereits Juni, und bald, sehr bald würde Luciana für den Sommer nach Hause kommen.
4. Kapitel
Als Luciana drei Jahre alt war, hatten ihre Mutter und ich einen lautstarken Streit, den gewiß der Papst im Vatikan hatte hören können.
Es begann damit, daß Angela – damals ein plumpes Kind von dreizehn Jahren – mit wild um ihre fetten Knöchel flatternden Röcken auf die Baustelle gelaufen kam.
»Papa, Papa, komm schnell! Mama hat Luciana in den Keller gesperrt, und sie schreit das ganze Haus zusammen. Wenn sie nicht aufhört, wird sie noch ersticken, aber Mama sagt, sie will sie erst zur
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