Kay Susan
phantastische Verkleidung getragen, die seiner Stellung als Zauberer entsprach. Ich wußte es nicht,
ich konnte mir manches nicht erklären; mir war jedoch klar, daß er
bisher nicht sehr oft Glück gehabt hatte, und ich war nicht geneigt,
ihm die jetzigen günstigen Umstände zu rauben. Also beschloß ich,
mich still zu verhalten.
Noch während ich diese Entscheidung traf, sah ich, daß sie kein
großes Opfer war. Der Klatsch hatte mir einen Sohn beschert, und
im Grunde meines Herzens konnte ich mich darüber nicht beklagen; ich merkte, daß ich dem Jungen gern den Schutz meines Namens gönnte.
Nachdem die Männer die Baustelle verlassen hatten, zog ich mich
aus dem Schatten der halbfertigen Wand zurück und beobachtete,
wie Erik die an diesem Tag benutzten Werkzeuge einsammelte. Es
wurde jetzt rasch dunkel – wir waren in der ersten Oktoberwoche –,
und in der schwülen Luft kündigte sich ein Sturm an. »Erik!«
Er fuhr so heftig zusammen beim Klang meiner Stimme, daß ich
wußte, er hatte geglaubt, allein zu sein.
»Komm jetzt, es ist Zeit, nach Hause zu gehen.«
Ich wartete, bis er sich mit der schweren Werkzeugtasche über
der Schulter einen Weg durch die Baustelle gebahnt hatte. Er bewegte sich wie eine Katze, mit glatter, federnder Anmut, die seinen
Anblick eigenartig angenehm machte.
Nebeneinander gingen wir durch die dunkler werdenden Straßen
zu meinem Haus. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, daher kann
ich es nicht beschwören, aber ich bin sicher, daß er mich an diesem
Abend zum ersten Mal anlächelte.
Ich machte keinen Versuch, ihm Beschränkungen aufzuerlegen oder die Art der Arbeit zu begrenzen, die ich ihm zu tun erlaubte. Ich ignorierte den wachsenden Neid der Arbeiter und erlaubte ihm, sich in seinem eigenen, erstaunlichen Tempo zu entwickeln. Wenn er das Gefühl hatte, einen Fehler begangen zu haben, war er nie zu stolz, mich um Berichtigung zu bitten. Aber er machte selten Fehler; und die wenigen, die er machte, unterliefen ihm kein zweites Mal.
Als der Winter voranschritt, fand ich eine Reihe kleiner Aufgaben, die ihn abends noch für etwa eine Stunde in meiner Nähe hielten. Ich brauchte jemanden, der Feuer machte, die Zahlen im Kontobuch mußten auf den neuesten Stand gebracht, Kostenvoranschläge erstellt werden, doch mit der Zeit konnte ich auf diese durchsichtigen Aufträge verzichten, denn er faßte genügend Vertrauen, um aus eigenem Willen an meinem Kaminfeuer zu verweilen.
Ende Februar, als das milde Wetter plötzlich umschlug und alle Außenarbeiten unmöglich machte, sah ich, daß er rastlos wurde, und überlegte, ob er mich wohl verlassen wollte. Schließlich fragte er, ob er ein paar Monate zum Zeichnen nach Florenz gehen dürfe, und ich stimmte ohne Einwände zu, denn ich wußte nur zu gut, daß ich ihn nicht gegen seinen Willen würde halten können. Als ich ihn im Schnee davonreiten sah, rechnete ich nicht mit seiner Rückkehr. Er hatte mir bereits gesagt, er habe die Absicht, eines Tages die Architektur der ganzen Welt zu studieren, und ich spürte, daß ihn der Weg unweigerlich nach Neapel und Pompeji führen mußte, nach Bari, Athen und Ägypten. Ich konnte seinen ungeheuren Wissensdurst nicht unter meinem Dach einsperren, und ich fürchtete diese Wanderlust, die ihn meiner leitenden Hand unerbittlich immer weiter entziehen würde.
Doch in der letzten Märzwoche kam er aus Florenz zurück. Er hielt im Hof inne, um als Beweis seines Fleißes die vielen Dutzend Skizzen auszupacken, die er gemacht hatte. Ich merkte, wie sehr ich seine Anwesenheit vermißt hatte, die eigenartige, ständige Freude an seiner zumeist lautlosen Gesellschaft.
Eines Tages würde er fortgehen und nicht wiederkommen. Ich wußte, das war unvermeidlich. Aber ich stellte fest, daß ich den Gedanken an die Zeit, da er endgültig aus meinem Leben verschwunden sein würde, kaum ertrug.
Das Herannahen des Sommers brachte eine Reihe von feuchten, drückenden Tagen, die mir mein Alter und meine schwache Gesundheit beklemmend bewußt machten. In der ersten Juniwoche erstickte Rom an einer erbarmungslosen Hitze, die mich eines Abends hinaus in den Hof taumeln ließ, hustend wie ein Schwindsüchtiger und verzweifelt nach Luft ringend.
Die Laterne, die an der äußeren Mauer hing, zeigte mir die unheilverkündenden Blutflecken in meinem Taschentuch, und in der kurzen Pause zwischen zwei Anfällen starrte ich sie mit düsterer Resignation an. Plötzlich, ohne einen Laut, war Erik neben mir, und ich sah,
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