Kay Susan
ihre Zeit mit Neugier und Bosheit verschwenden. Wenn es noch einmal zu Schwierigkeiten kommt, werde ich sie alle entlassen. Habe ich mich deutlich ausgedrückt?«
»Ja, Signor.« Der Mann schien völlig verblüfft über meinen Ton.
»Nun, worauf wartest du? Alle sollen wieder an die Arbeit gehen!«
Mit grollendem Blick wollte Calandrino sich abwenden.
»Warte«, sagte ich abrupt. »Wo ist der Junge jetzt?«
Der Mann wies mit dem Daumen auf die oberste Etage des Gerüsts, wo ich, meine Augen vor der Sonne abschirmend, gerade noch Eriks Gestalt erkennen konnte, gefährlich hoch in der glühenden Sonne kauernd.
»Du läßt einen ungeübten Burschen dort hinaufklettern?«
»Er hat mich nicht um Erlaubnis gefragt, Signor«, sagte der Vorarbeiter mit kühlem Sarkasmus, den ich diesmal absichtlich überhörte. »Er schoß einfach wie eine Fledermaus aus der Höhle dort hinauf, bevor einer von uns auch nur blinzeln konnte. Die Burschen haben schon darauf gewettet, er würde sich herunterstürzen.«
Mit einer Geste schickte ich ihn weg, und der Mann trollte sich, hörbar vor sich hin murmelnd.
In kleinen Etappen erkletterte ich das Gerüst bis in die schwindelnde Höhe, wo der Junge saß und direkt in die Sonne starrte. Hastig stand er auf, als er mich kommen hörte, und starrte mich verzweiflungsvoll an; ich wußte, daß er damit rechnete, entlassen zu werden.
»Bist du verletzt, Erik?«
»Nein, Signor.« Er schien erstaunt über meine Frage. »Dann komm herunter. Ich brauche heute nachmittag deine Hilfe.«
Ohne auf seine Antwort zu warten, stieg ich wieder ab. Für den Rest des Tages, während er meine Anweisungen genau befolgte, war mir bewußt, daß seine Augen mich ständig mit Dankbarkeit suchten.
Eine Woche später hörte ich mit, wie die Männer miteinander sprachen, als sie sich bei Sonnenuntergang fertigmachten, um die Baustelle zu verlassen.
»Sobald der Meister fort ist, fallen wir über ihn her, einverstanden? Wir reißen ihm die Maske ab und schauen nach, was darunter ist.«
»Ja . . . und dann geben wir dem kleinen Schlaukopf ein paar
Beweise unserer Wertschätzung!«
»Wenn ihr auch nur ein bißchen Verstand habt, laßt ihr ihn in
Ruhe. Ist euch noch immer nicht klar, wer er ist?«
Als Calandrinos Stimme ertönte und die anderen für einen Augenblick zum Schweigen brachte, spürte ich die gespannte Erwartung, die sich plötzlich der Gruppe bemächtigte.
»Ich dachte, das wäre inzwischen jedem klar, der auch nur einen
Rest von Hirn hat. Wie lange ist es her, seit der Meister einen Lehrling angenommen hat? Müssen mindestens zehn Jahre sein!« »Du willst doch nicht andeuten . . . «
»Und ob ich das will! Himmel, warum nicht? Zu seiner Zeit war
der Meister nicht weniger hinter Weiberröcken her als alle anderen.
Und wenn ein Mann mit einer Herde von Töchtern sich auf der
falschen Seite der Bettdecke einen Sohn zulegt, dann geht es ihm
gegen den Strich, ihn dort zu lassen. Aber er ist ein freier Steinmetz
und höchst achtbar. Er ist also blamiert, wenn sich herumspricht,
daß er es mit den Frauen nicht anders treibt als wir alle! Also denkt
er, daß eine Maske vielleicht alles zudeckt, die Ähnlichkeit des Jungen und die eigene Vergangenheit. Nun, ihr habt sie ja selbst zusammen gesehen – die Sache ist klar. Und ich warne euch: Wir alle könnten uns sehr schnell auf der Straße wiederfinden, wenn dem Jungen etwas geschieht. Deshalb haltet euch gefälligst zurück. Es ist nie gut, sich in die Sachen seines Meisters einzumischen, und der Junge macht keine Schwierigkeiten, wenn ihr ihn in Ruhe läßt.
Er tut mehr als seinen Anteil an der Arbeit.«
Ich stand da und hörte mit merkwürdig gemischten Gefühlen
zu, wie meine Männer fortfuhren, meinen guten Namen frivol in
Mißkredit zu bringen. Halb hatte ich Lust, hinter der Wand hervorzutreten, die mich verbarg, und sie wegen ihrer unverschämten Vermutungen allesamt zu entlassen; aber mir war auch klar,
daß Erik geschützt war, wenn ich jetzt schwieg. Einfach, indem ich
nichts sagte und zuließ, daß dieses ungeheuerliche Gerücht Wurzeln schlug, konnte ich ihn davor bewahren, weiter von ihnen gequält zu werden. Ich konnte dem Jungen etwas Zeit erkaufen, auf
die Füße zu kommen und vielleicht seine Meinung zu ändern, die
ganze Welt sei sein Feind. Aus irgendeinem Grund hatte er das
erstaunliche Glück gehabt, bei seinen Vorstellungen auf dem Jahrmarkt von Trastevere nicht erkannt zu werden. Vielleicht hatte er
bei den Darbietungen irgendeine
Weitere Kostenlose Bücher