Kay Susan
auslösten. Sie trafen sich kaum – dafür sorgte er –, aber die Gelegenheiten, bei denen sie sich sahen, standen unter unerträglicher Spannung, hervorgerufen durch Lucianas verletzten Stolz. Der Junge ignorierte sie, weil er Angst hatte, sich weiterem Schmerz auszuliefern, aber Luciana konnte seine scheinbare Gleichgültigkeit nicht ertragen. Sie begann, seine Aufmerksamkeit mit Grobheit, Sarkasmus und Spott herauszufordern – also genau das zu tun, was er aufgrund seiner Lebenserfahrung erwartete.
Einen Monat lang stand ich hilflos daneben und mußte zusehen, wie meine eigensinnige Tochter sich verliebte – nicht in einen lebendigen Jungen, sondern in einen Traum, eine durch das Geheimnis der Maske inspirierte Phantasie. Wenn ich mich in Lucianas Lage versetzte, konnte ich leicht die archaische Anziehungskraft seiner fast königlichen Würde begreifen, die eigenartige, hypnotische Ausstrahlung seiner einzigartigen Stimme. Ich beherbergte einen jungen Prinzen der Finsternis unter meinem Dach. Die Sinnlichkeit der Macht strahlte aus jeder seiner Gesten, aber er blieb sich seiner außerordentlichen Attraktion vollkommen unbewußt. Es gab Frauen in Rom – und auf der ganzen Welt –, die glücklich gewesen wären, sich in seinem Schatten zu ergehen. Wenn er nur gewagt hätte, über den Käfig hinauszublicken, in den er sich selbst einsperrte! Doch er war blind für das wesentlichste Element seines eigenen Magnetismus. Jemand hatte ihn gelehrt, auf dieser Welt nichts als Zurückweisung und Ekel zu erwarten, und mit der natürlichen Schüchternheit der Jugend wiederholte er all die schmerzlichen Lektionen, die er in seiner Kindheit hatte lernen müssen.
Tag um Tag beobachtete ich, wie er unter der grausamen Qual der ersten Liebe litt. Er sprach mir gegenüber nicht von seinen Gefühlen, doch bei jedem Schwung seines Hammers, jedem Schlag seines Meißels spürte ich seinen Schmerz. Meine Hilflosigkeit betrübte mich. Ich sah zu, wie er auf der Baustelle seinen jungen Körper bis zur Erschöpfung verausgabte, um der unerträglichen Realität der Liebe zu einem oberflächlichen, frivolen Kind zu entgehen, das seiner in keiner Weise würdig war. Und ich konnte nichts sagen und nichts tun, denn die bittere Wahrheit war, daß dieses oberflächliche, unwürdige Kind meine Tochter war, die ich trotz ihrer Unarten von Herzen liebte.
Ich konnte nur beten, daß das Ende des Sommers sie beide von diesem Pulverfaß unterdrückter Gefühle befreien würde. Wenn Luciana in die Klosterschule zurückkehrte, hätten sie ein weiteres Jahr Gnadenfrist, ein ganzes Jahr, in dem sie reifen und über die Gefühle hinauswachsen könnten, die sie beide – aus ganz verschiedenen Gründen – nicht auf verständliche Art zu äußern vermochten.
Während dieses schrecklichen Monats unterdrückter Feindseligkeit und verdrängter Sehnsucht war das der einzige Lichtblick, an den ich all meine Hoffnung auf Frieden knüpfte.
Ich war ein Narr.
Ich hätte meine Tochter inzwischen gut genug kennen müssen . . .
Sie heuchelte nicht, als sie mir sagte, sie sei zu krank, um nach Mailand zurückzufahren. Luciana brauchte nie zu heucheln. Von frühester Kindheit an hatte sie stets die Fähigkeit besessen, ernsthaft krank zu werden, wann immer es ihren Absichten diente. Jetzt waren die Augen, die flehend in meine blickten, unzweifelhaft fieberglänzend, und ihr Puls flatterte unter meinen Fingern wie der Flügel eines Schmetterlings.
Finster ging ich nach unten, um die wartende Kutsche fortzuschicken, und bat Erik, einen Aufguß zuzubereiten. Ich hatte kein Vertrauen zu den Arzneien der Apotheker, aber vor den Kräuterkenntnissen des Jungen hatte ich großen Respekt.
»Sie ist krank?« Mit einer Geste, die seine ängstliche Besorgnis verriet, hob er eine Hand an die Kehle.
»Es ist nichts Ernstes, nur ein wenig Fieber, aber sie wird heute nicht abreisen. Ich dachte, du wüßtest vielleicht etwas . . . «
»Ja«, sagte er hastig. »Da gibt es etwas. Aber sie mag gewiß nichts Bitteres einnehmen. Vielleicht kann ich das Mittel mit Honig süßen.«
»Ich will das nicht!« sagte Luciana rebellisch, als ich ihr eine Stunde später den Trank brachte. »Du weißt, daß ich Arzneien hasse, Papa.«
»Nun gut«, erwiderte ich kühl. »Ich werde Erik sagen, daß du wie ein kleines Kind die Einnahme verweigerst.«
Plötzlich setzte sie sich auf und schob sich das dichte Haar aus dem geröteten Gesicht.
»Erik?« wiederholte sie verwundert. »Erik hat
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