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Kay Susan

Titel: Kay Susan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das Phantom
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schick mich nicht wieder fort. Ich würde ihn so vermissen!«
Sie hielt mich in einer erstickenden Umarmung, als glaube sie, mit dieser festen Umklammerung das festhalten zu können, was sie sich wirklich wünschte.
»Ich sterbe, wenn du mich fortschickst!« sagte sie leidenschaftlich.
Ich spürte die spitzen Knochen ihrer Schulter, die mir zeigten, wie sehr sie in diesen letzten paar Monaten abgemagert war, und ich wußte, daß mir die geübte kleine Lügnerin diesmal nichts anderes sagte als die schlichte Wahrheit.
6. Kapitel
    Gegen Ende dieses Sommers war ich soweit, daß ich mich fast gänzlich auf Eriks Fertigkeiten verließ. Seine Stellung hatte mich bereits mehrere geübte Männer gekostet – Männer wie Calandrino, der auf Eriks meteorhafte Fortschritte eifersüchtig wurde und es schließlich ablehnte, mit einem Jungen zu arbeiten, der jede Lehrlingsausbildung zum Gespött gemacht hatte.
    Inzwischen nahm ich Arbeiten allein deswegen an, um Erik Gelegenheit zum Sammeln von Erfahrungen zu geben. Die Arthritis verkrümmte meine Finger, und ich wußte, bald würde ich keinen Meißel mehr halten können. Ich wollte, daß Erik das Geschäft übernahm.
    Während meines letzten großen Auftrags fand ich es einfacher, Wanderarbeiter anzustellen und die ganze Arbeit unter Eriks Aufsicht zu stellen. Er hatte sämtliche Kostenberechnungen vorgenommen, der Kunde akzeptierte den Voranschlag ohne Einwände und reiste dann für den Sommer nach Florenz. Das traf sich gut, denn so erfuhr er nicht, daß der Bau seines Hauses im wesentlichen in den Händen eines fünfzehnjährigen Knaben lag.
    Der Bau schritt in der geordneten Weise voran, die typisch war für alles, was Erik anfaßte. Er hatte in meiner Abwesenheit die volle Autorität, und seine umsichtige Gegenwart auf der Baustelle sorgte dafür, daß es unter den Männern weder Streit noch Nachlässigkeiten gab. Er war jetzt sehr groß, fast unmenschlich stark und überaus kompetent; ein Blick in die kompromißlosen Augen hinter der Maske reichte, um jedermann die Lust an Spiegelfechtereien vergehen zu lassen. Und doch war er immer fair, bereit, harte Arbeit anzuerkennen oder einen Anfänger zu ermutigen. Er wies alle Anzeichen dafür auf, daß er ein guter Meister werden würde.
    Sie hatten schon das erste Geschoß erreicht, als einer der Männer erkrankte und ich gezwungen war, einen neuen Arbeiter einzustellen. Ich dachte mir nichts dabei, als der Mann mir sagte, er sei in Italien viel herumgekommen. Doch etwas war beunruhigend an dem verblüfften Blick, den der Mann Erik zuwarf, als sie sich trafen – ein Blick, der über die normale Überraschung bei der Aussicht, neben dieser Maske zu arbeiten, hinausging.
    Bis es Zeit zur Siesta wurde, hatte ich dem Geflüster, das sich wie ein Lauffeuer auf der Baustelle ausbreitete, entnommen, daß das, was Erik hatte geheimhalten wollen, nun nicht mehr geheim war. Dieser Mann hatte etwas gesehen – vielleicht nicht in Trastevere, sondern anderswo, in Mailand oder Florenz, wo immer es Jahrmärkte gab.
    Und jetzt hatte er weitergegeben, was er wußte.
Ich entließ ihn am gleichen Abend wieder, aber ich wußte, es war zu spät, um den Schaden zu beheben, den er angerichtet hatte. Die Atmosphäre auf der Baustelle erinnerte mich an die Windstille vor einem Gewitter. An der plötzlichen Spannung in Eriks Augen erkannte ich, daß er sich der eingetretenen Veränderung bewußt war.
Es dauerte nicht lange, bis das geflüsterte Wort Ungeheuer meine Ohren erreichte. Ich vernahm es mit schrecklichem Kummer, denn es bestätigte nur meine eigene innere Befürchtung. Schon lange hatte ich vermutet, daß der Junge hinter dieser Maske irgendeine schwerwiegende Mißbildung verbarg, etwas, das mir zu enthüllen er nie den Mut gefunden hatte. Auf viele Arten hatte ich ihm zu zeigen versucht, daß seine Skrupel grundlos waren, aber er war nie bereit gewesen, diese Hinweise zu verstehen; und ich war gezwungen, geduldig auf den Tag zu warten, an dem er endlich genug Vertrauen gefaßt haben würde, um mir sein Gesicht zu zeigen. Jetzt, als ich zu verstehen begann, welch ungeheure Bürde er mit sich herumtrug, sah ich, daß dieser Tag niemals dämmern würde.
Seine natürliche Autorität – und sein Ruf, schnell und geschickt das Messer zu handhaben – hielt die Bedrohung gerade noch in der Schwebe, doch seine Wachsamkeit durfte nie nachlassen. Allmählich kam er abends so angespannt von der Baustelle nach Hause, daß er an Essen nicht einmal mehr

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